Frau Ella
voller Staub. Das war ihr noch nie passiert, dass sie nicht wusste, wo und in welcher Zeit sie war.
Die Stube, in der das Sofa stand, auf dem sie saß, stammte anscheinend aus der Zeit, da sie und Stanislaw sich zum ersten Mal richtig eingerichtet hatten. Mitte der Fünfziger war das gewesen, als er seine Stelle gefunden hatte und sie Wochenende für Wochenende im Möbelhaus verbracht und auch unter der Woche die Kataloge gewälzt hatten. Viel Geld hatten sie damals nicht gehabt, aber gerade deshalb musste man sich bei der Auswahl ja Zeit lassen. Sie kannte diese Stehlampe aus Messing mit den biegsamen Stangen, an deren Ende pastellfarben die Lampenschirme in Richtung Decke zeigten, den Nierentisch, dessen schwarz glänzende Platte mit ihrer goldenen Fassung lange nicht poliert worden war, die Kommode aus dunklem Holz, auf der ein verstaubtes Radio mit seinem grünen Auge stand. Das alles kannte sie. Sie kniff ihr Auge zusammen, um die Namen der Radiostationen zu lesen. Genau wie bei ihnen waren einige Sender mit Pflaster markiert, damit man nicht zu viel Zeit mit der Suche nach den Lieblingssendern verbringen musste. Das war nicht schön, aber praktisch. Beim Fernseher gab es das nicht mehr.
Frau Ella kannte die Gegenstände und wusste doch nicht, wohin sie gehörten. Ganz sicher war sie noch nie zuvor in dieser altmodischen Wohnung gewesen. Sie erinnerte sich nur daran, wegen ihres eiternden Auges ins Krankenhaus gegangen zu sein. War sie dort mit einem Schlag alt und verrückt geworden? Oder träumte sie? Sie schüttelte den Kopf und stand auf, um sich in dieser seltsamen Wohnung umzusehen. Die Tür an der dem Sofa gegenüberliegenden Wand führte in ein Schlafzimmer. Auf dem Boden lag eine Matratze, darauf ungeordnet fleckig weißes Bettzeug, das bis zu ihr hin so roch, als sei es seit Wochen nicht gelüftet und schon gar nicht gewechselt worden. In einem Regal lag Wäsche, durcheinander und offen für Staub und Motten. Auch hier diese Lieblosigkeit gegenüber der Wohnung, als lebte jemand nur auf der Durchreise, habe kein Interesse daran, es sich schön zu machen. Die andere Tür ging auf eine kleine dunkle Diele, die rechts in die Küche führte, die tatsächlich richtig schmutzig war. Ungläubig betrachtete sie die sich stapelnden Teller, da hörte sie hinter sich das Rauschen einer Toilettenspülung, und zwar nicht das fröhlich plätschernde Rauschen eines sich entleerenden Spülkastens, sondern das zischende Rauschen einer dieser Direktspülungen. Sie drehte sich um, sah im Halbdunkel der kurzen Diele, wie sich eine Tür öffnete und jemand aus dem Bad heraustrat. Und sie stand im Nachthemd in einer wildfremden Wohnung!
»Hallo Frau Ella«, hörte sie die Stimme eines Mannes sagen, eine ihr bekannte Stimme. An die erinnerte sie sich.
»Hallo junger Mann. Sagen Sie, wo bin ich denn hier gelandet? Das ist doch sicher nicht die Klinik.«
»Nein, nicht wirklich«, stammelte er und trat in die Küche. Auch dem Jungen war die Situation anscheinend nicht angenehm. Als hätte er etwas angestellt. »Das ist meine Wohnung. Sie sind in Sicherheit.«
»Aha. Hier müsste dringend mal wieder geputzt werden.«
»Ich bin bis heute auch ohne Ratschläge ganz gut über die Runden gekommen«, sagte er schroff.
»Ich auch«, sagte sie, überrascht von seiner Unfreundlichkeit. »Und deshalb wüsste ich nun gerne, was ich in dieser Wohnung verloren habe.«
Wieder druckste er herum, als hätte er etwas zu verbergen.
»Jetzt sagen Sie schon.«
»Na ja, erinnern Sie sich denn an gar nichts? An diesen Zettel zum Beispiel, den Sie unterschreiben sollten, im Krankenhaus, wegen der Vollnarkose?«
»Ja«, sagte sie und tastete nach dem Verband.
»Und auch daran, dass Sie am nächsten Morgen diese Tablette geschluckt und dann unterschrieben haben?«
»Die Tablette, ja, an die erinnere ich mich, die war gegen dieses Jucken am Auge.«
»Von wegen! Das haben die Ihnen erzählt. In Wirklichkeit war das irgendein Stoff, mit dem Sie gefügig gemacht werden sollten.«
»Ja und? War ich dann also gefügig?«
»Sie schon, aber mit mir hat keiner gerechnet. Ich habe sofort einen Pfleger alarmiert, der mir dann erst nicht glauben wollte.«
»Was sollte der Ihnen denn glauben?«
»Na, dass Sie gegen Ihren Willen operiert werden, also unter Vollnarkose.«
»Aha.«
»Genau. Ich hatte Sie schon fast aufgegeben, als er plötzlich in mein Zimmer kommt und sagt, dass ich recht hatte, dass da irgendwelche krummen Dinge liefen und dass
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