Frau Ella
schließlich an. »Und was haben Sie jetzt vor? Ich meine, wegen der Operation.«
»Danke der Nachfrage«, kicherte sie. »Aber das war wohl ein Missverständnis. Der Herr Doktor weiß schon, was richtig ist. Deswegen hat er ja studiert.«
»Wie bitte?«
»Da hätten Sie mich gestern nicht so verunsichern brauchen, junger Mann, auch wenn Sie das bestimmt gut gemeint haben. Aber schauen Sie ruhig Ihre Sendung, bitte.«
»Ich Sie verunsichert? Sind Sie noch ganz klar im Kopf? Sie wollen sich jetzt doch bei Vollnarkose operieren lassen? Trotz des Risikos?«
»Das ist nur ein theotaretisches Risiko.«
»Sagen Sie nicht, dass Sie diese Erklärung unterschrieben haben.«
Sie grinste weiter die Decke an. Normal war das nicht.
»Das heißt, die Schwester war schon da?«
»Und der Arzt. Der Chef persönlich!«
»Und Sie haben unterschrieben?«
»Aber natürlich! Warum denn nicht. Sonst hätte ich ja nicht herkommen brauchen, wenn ich mich nicht behandeln lassen will«, sagte sie amüsiert, als wäre er der Blöde. Sascha setzte sich auf, und ein weiterer Blick in ihr verschleiertes Auge reichte, um ihn davon zu überzeugen, dass er sich nicht täuschte.
»Die haben Ihnen doch was gegeben!«
Sie kicherte und kicherte. Er stand auf, stellte sich barfüßig ans Fußende ihres Bettes, die Hände auf der Eisenstange, und starrte sie ungläubig an.
»Frau Ella, was haben die Ihnen gegeben?«
»Einen kleinen Traubenzucker. Süß wie Rheinwein!«
»Und dann haben Sie unterschrieben?«
»Mit dem Arzt persönlich«, sagte sie zugleich stolz und amüsiert.
Das konnte doch nicht wahr sein, dass man eine wehrlose Alte hier einfach auf Drogen setzte, um dann
ungestört an ihr herumzuschnippeln. Da konnte sie noch so dumm grinsen, das würde er nicht akzeptieren.
»Sie verlassen auf keinen Fall das Zimmer«, sagte er und stürmte auf den Flur, ohne an seine Hausschuhe zu denken.
In den wenigen Minuten seit seiner Rückkehr aus der Cafeteria war die Station zum Leben erwacht. Er sah die dicke rothaarige Schwester komplizenhaft in seine Richtung grinsen, doch ehe er sie ansprechen konnte, war sie an ihm vorbeigeeilt. Mit nur einem Auge und ohne seine Brille war es kaum möglich, Entfernungen richtig einzuschätzen. Der Raum verlor an Tiefe, war wirklich und unwirklich zugleich. Was war das nur für ein Morgen? Vor ihm versperrten plötzlich vier Putzmänner in hellblauen Kitteln den Flur.
»Ihr könnt jetzt nicht die Zimmer machen!«, hörte er eine kreischende Frauenstimme und erblickte hinter den Männern die Oberschwester.
Sascha drängte an den Männern vorbei.
»Entschuldigen Sie bitte. Können Sie mir sagen, wo ich den Oberarzt finde?«, fragte er außer Atem die Schwester.
»Jetzt aber mal langsam, junger Mann. Visite ist bei Ihnen gegen neun.«
»Bitte. Wo ist der Arzt?«
»Halt!«, rief die Schwester und packte einen der Putzmänner am Kittel. »Ihr könnt da wirklich nicht rein!«
»Verdammt, wo ist der Arzt?!«, schrie er.
»Mein Gott, irgendwo auf Visite«, stöhnte die Schwester und zeigte den Flur hinunter.
»Wir wollen doch nur unsere Arbeit machen«, hörte er einen der Männer sagen. Dann stürmte Sascha weiter, riss eine nach der anderen die Türen der Krankenzimmer auf, ohne auch nur einen einzigen Assistenzarzt zu entdecken. Zimmer für Zimmer blickten ihn Patienten aus ihren mehr oder weniger lädierten Augen an, Blicke ohne jede Hoffnung darauf, dass vielleicht doch alles gut würde, jemand käme, um sie wie einen Menschen zu behandeln. Meist aber lagen die Blicke hinter Mull und Pflaster verborgen, und er konnte sie nur erahnen. Es war so deprimierend, dass er immer langsamer wurde, seine Wut sich zusehends verflüchtigte. Das hier war kein Ort, an dem Menschen gesund wurden. Menschen, die zum Nichtstun verdammt waren, die nur noch warten konnten. Ein Wartezimmer, aus dem es keinen Ausweg gab. Und das war nur die Augenstation. Wie ging es wohl auf den anderen Stationen zu, da, wo Frau Ella landen würde, wenn er nicht den Arzt fand? Da, wo man die Alten lagerte und an jede zur Verfügung stehende Maschine anschloss, um möglichst viel in Rechnung stellen zu können. Sollten sie machen, was sie wollten, aber nicht mit Frau Ella, nicht mit einer Frau, die ihm einen Drink spendiert hatte. Mit neuer Energie stürmte er weiter.
Er war fast am Ende des Flurs angelangt, als ihm aus einem Zimmer ein Pfleger entgegentrat.
»Was ist denn mit Ihnen los, Herr Hanke?«
»Ich muss mit dem Oberarzt
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