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Frau Ella

Frau Ella

Titel: Frau Ella Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Florian Beckerhoff
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dann stoppse,
Nimmse mit nach Haus und poppse,
Wennse dann nicht will, dann kloppse,
Salzkartoffeln, Kapern und Salat!

Denn hier in Königsberg, da isst man Klopse...

    Frau Ella schunkelte wie eine Oma im Fernsehen. Ute trank ihr Wasser und sah ihn an, als könnte er ihr das alles erklären. Er konzentrierte sich auf den Geschmack der Kapern, die er nicht ganz hinunterschluckte, sondern eine nach der anderen zerbiss und dann mit der Zunge am Gaumen zerdrückte. So musste man leben! Nicht immer nur aufs Fleisch achten, sondern aus jeder Kaper so viel herausholen, wie man könnte. Und dazu Bier, viel Bier, und diese wohlige Trägheit inmitten des aufgeregten Trubels. Schweigen und genießen von einem Lied zum nächsten. Immer weiter. Ein trunkenes Schiff durch den Abend, der ein Meer war.

    Noch immer warteten sie auf Klaus. Das Orchester spielte ein Lied nach dem anderen, die Menge amüsierte sich, Frau Ella schunkelte und schunkelte, Ute guckte nicht mehr fragend, und er fühlte sich einfach wohl, versuchte noch immer, den Geschmack der Kapern zu bewahren, der eine Offenbarung war. Da trat ein Mann in glitzerndem Cowboykostüm an ihren Tisch. Sascha fragte ihn, was er wirklich vom Leben wolle. Solche Fragen könne er nicht beantworten, sagte der Cowboy und verabschiedete sich höflich. Sascha fragte sich selbst, ob er alles richtig verstanden hatte. Vielleicht wirkten ja auch die Kapern. Zumal jetzt links der Bühne ein riesiger Schwarzer in goldener Uniform tanzte. Er winkte ihnen zu. Frau Ella winkte zurück, Tränen im Auge. Das Orchester spielte »Are you lonesome tonight«. Sascha wollte Frau Ella fragen, was hier vor sich ging, ob das wirklich Jason, ihr Liebhaber aus Tennessee, war, doch er wusste, dass sie nicht mehr reden mussten, dass alles gut war, und die Musik spielte ohnehin zu laut. Sollten die Dinge sein, wie sie waren.
    Dann verstummte das Orchester, um gleich darauf einen kaum wahrnehmbaren Klangteppich auszulegen, auf dem sich die Stimme des Sängers aufbaute, der jetzt Verwirrendes erzählte. Dass sie, die Gäste, das Joch der Zeit von ihren Schultern geworfen hätten, dass ein ganz besonderer Moment nahe, die Offenbarung des Zeitlosen, die Wirklichwerdung des Wunsches. Es sei an der Zeit, die zeigerlose Uhr zu verleihen, den Orden der frivolen Zeitlosigkeit, und er freue sich ganz besonders darüber, dass der Orden nicht an eine Einzelperson, sondern an ein Paar gehe, ein einzigartiges Paar, das allen Widrigkeiten zum Trotz zueinanderstehe und der Zeit so ein Schnippchen schlage. Das Orchester glitt langsam, doch mit der Zielstrebigkeit einer startenden Dampflokomotive in einen Marsch. Ein Scheinwerfer suchte und fand die Eingangstür durch die jetzt, jetzt, das konnte nicht wahr sein, durch die jetzt Klaus mit diesem Blumenhändler, dem Schwulen vom Lande und Herrn Li senior, dem alten Asiaten, auftauchte, in flottem Schritt, winkend und in die rhythmisch klatschende Menge lächelnd, alle drei in Tropenanzügen aus weißem Leinen. Sie sprangen die Treppe zur Bühne hoch und lächelten stolz, als seien sie selbst die Geehrten. Der Sänger holte das Orchester zurück auf den Klangteppich, griff wieder nach dem Mikrofon, meinte, dass diese drei Männer ihm eine Geschichte erzählt hätten von einem in den Augen der Welt jungen Mann und einer vermeintlich alten Frau, die zueinanderfanden, die die Grenzen des Alters, die heute nicht weniger streng gezogen seien als früher die Grenzen der Rassen und der Klassen, die diese Grenzen überwunden hätten allein durch die Kraft der Menschlichkeit, des Gefühls, des Trotzes, des Humors, der Liebe! Und jetzt, in wenigen Minuten, würden sie, Sascha und Ella, vor den Augen der Gäste das bislang Unglaubliche wagen und sich das Jawort über die Grenzen der Generationen hinweg geben. Die Menge schrie begeistert, tobte, zahllose Augenpaare starrten in seine Richtung, lächelten ihm wohlwollend zu, gleich würden sie ihn holen kommen. Sascha suchte Frau Ella, Ute, doch er saß alleine am Tisch. Er musste hier weg. Schnell. Das konnte nicht wahr sein, doch alles war so klar, so eindeutig. Gleich wäre alles verloren. Das durfte nicht sein. Er wollte keinen Orden. Er wollte keine Greisin heiraten. Er hatte nur ein Leben. Er wollte Kapern es-sen. Allein sein. Still genießen. Es gab so viele Kleinigkeiten zu entdecken. Länder. Kontinente. Und er würde Frau Ella waschen müssen, ihr die Fußnägel schneiden, den Hintern abputzen, nur weil er einmal von seinem

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