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Frau Ella

Frau Ella

Titel: Frau Ella Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Florian Beckerhoff
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sicher diese Verzichtserklärung, die auch er vor der Operation unterschrieben hatte.
    »Sie hätten wirklich nicht aufräumen müssen, junger Mann«, sagte sie und lächelte ihn mit ihrem strahlend blauen Auge an. »Ich bin hier ja schließlich der Eindringling.«
    Es war zu spät, um sich schlafend zu stellen. Sie hatte längst gemerkt, dass er wach war.
    »War nur so ’ne Laune.«
    »Fernsehen am helllichten Tag ist ja auch eine seltsame Sache, Wasser zum Brunnen tragen, hat mein Stanislaw das genannt. Entschuldigen Sie bitte, ich möchte Ihnen gar nicht zur Last fallen, aber haben Sie auch diesen Todesbrief unterschrieben?«
    »Ist nur eine Formsache. Die müssen sich absichern.«
    »Ja, aber wogegen denn, wenn nichts passieren kann?«, fragte sie und sah ihn verwundert an.
    »Theoretisch kann etwas passieren, irgendwas, keine Ahnung.«
    »Also doch.«
    »Nein, nur theoretisch.«
    »Und warum dann der Zettel, wenn nichts passiert?«, lachte sie, als machte sie sich über ihn lustig. »Gibt mir meine Nachbarin denn ihren Schlüssel, wenn sie weiß, dass sie ihren nie verlieren wird?«
    Wo sie recht hatte, hatte sie recht, nur brachte diese Einstellung sie im Moment nicht wirklich weiter.
    »Bei mir ist schließlich auch alles gutgegangen. Also im Prinzip zumindest, bis auf die Heilung. Außerdem kann Ihre Nachbarin nicht wissen, dass sie ihren Schlüssel nie verlieren wird. So eine Sicherheit gibt es gar nicht. Wie gesagt, das ist theoretisch, das klappt schon.«
    »Ja, bei Ihnen vielleicht. Aber nur weil einer über Schranke und Gleise klettert und rüberkommt, muss man das ja nicht gleich nachmachen, oder?«
    »Zeigen Sie mal her«, stöhnte er schließlich, raffte sich auf und setzte sich zu ihr an den Tisch.
    Nach kurzem Zögern war er sich sicher, dass sie eine ganz andere Erklärung unterschreiben sollte als er. Die meisten Punkte bezüglich möglicher Nebenwirkungen, Unfällen und höherer Gewalt waren die gleichen, aber warum wollte man ihr eine Vollnarkose verpassen, um an ihrem Auge herumzuschnippeln?
    »Wollen Sie unbedingt eine Vollnarkose?«
    »Ach was!«, rief sie und lachte aufgeregt. »Der Herr Doktor meint aber, dass das sein müsse. Aus medizinischen Gründen. Da sind schon ganz andere nicht wieder aufgewacht! Wegen diesem blöden Auge unter die Erde, das ist ja lächerlich! Das kann ich doch nicht unterschreiben.«
    »Wollen Sie nicht Ihren Hausarzt anrufen oder irgendjemanden?«, fragte Sascha. Mit einem Mal wirkte sie fast verzweifelt.
    »Der Herr Doktor ist ja gerade im Urlaub«, sagte sie leise, als suchte sie nach einer Lösung.
    »Und Verwandte oder Freunde?«
    »Ach, hören Sie doch auf. Ich komme sehr gut allein zurecht.«
    »Nichts für ungut.«
    Wenn sie keine Hilfe wollte, warum fragte sie ihn dann? Er stand auf, ging zurück zu seinem Bett, legte sich hin und tat, als würde er lesen. Eine alte Spießerin, die auch noch einen Knall hatte und einem blöd kam, wenn man helfen wollte. Großartig. Wofür genau wollte man ihn eigentlich bestrafen? Er sehnte sich danach, sein Zimmer wieder für sich zu haben.
    Nach einer Weile schaffte er es trotz ihres unverständlichen Gemurmels, trotz ihrer ganzen aufdringlichen Anwesenheit, ein paar Seiten zu lesen. Kaum hatte er aber wieder in die Geschichte hineingefunden, klopfte es, und eine Schwester, klein, ziemlich dick und mit kurzen rotgefärbten Haaren, stürmte ins Zimmer, stellte die beiden Plastiktabletts mit dem Abendessen auf den Tisch und nahm den Zettel, den seine Zimmernachbarin die ganze letzte Stunde angestarrt haben musste.
    »Sie haben ja noch gar nicht unterschrieben?«, rief die Schwester, als habe sich ihre vierjährige Tochter in die Hose gemacht. »Frau Freitag, hören Sie mich? Sie halten mich auf!«
    »Wir haben beschlossen, dass eine Vollnarkose unnötig ist«, sagte die Alte.
    »Na, die Entscheidung überlassen wir mal schön dem Herrn Doktor«, lachte die Schwester und zwinkerte ihm zu. »Wenn ich die Tabletts holen komme, haben Sie das schön unterschrieben, ja? Und jetzt einen Guten!«
    Als die Schwester das Zimmer verlassen hatte, raffte er sich auf, setzte sich widerwillig auf den Stuhl, den er vorhin so fluchtartig verlassen hatte. Das blassblaue Tablett bot das gleiche Trauerspiel wie in den vergangenen Tagen. Sie behandelten einen nicht nur, als sei man minderwertig, sie fütterten einen auch dementsprechend. Kein Wunder, dass sein Auge so langsam heilte. Er blickte vorsichtig auf und sah, wie seine Nachbarin

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