Frau Schick macht blau
sparsam bekleideten Gespielinnen mit gezückter Waffe posiert. Man muss keine Doktorarbeit über Freud verfasst haben, um zu wissen, wofür die Waffe steht.
Nelly zieht an ihrem Rocksaum und legt ihre brandneue Dokumentenmappe von Bugatti über die nackten Knie. Wärmt leider kaum, obwohl mindestens ein halbes Kilo Papier drinsteckt. Sie legt Beckys Rucksack noch obenauf. »Besser so?«
Ricarda schüttelt verärgert den Kopf. »Mensch, Nelly! Warum zum Teufel trägst du kein Kostüm oder wenigstens einen Hosenanzug?«
»Nun … ähm … Draußen sind es noch fast 25 Grad, und ich neige manchmal zu tsunamiartigen Hitzewellen«, improvisiert Nelly. Verflixte Wechseljahre. Das Gehirn arbeitet auch langsamer und versagt komplett, wenn es darum geht, glaubwürdige Ausflüchte zu erfinden.
Ricarda bleibt misstrauisch und beim Thema. »Jetzt mal raus mit der Sprache. Hat Becky das Kleid ausgesucht?«
Mist. Ricarda betrügt so schnell keiner. »Wie kommst du denn darauf?«
»Nur so eine Ahnung. Ich weiß, wie sehr ihr aneinander hängt, aber das ist noch lange kein Grund, dass du dich auch wie sie anziehst.«
»In so einem Kleid würde ich Becky niemals aus dem Haus lassen«, protestiert Nelly entsetzt.
»Ach ja? An Becky wäre das Kleid verzeihlich, aber für eine 48-jährige Frau – ganz egal wie sonnenbraun und attraktiv – ist so ein schenkelkurzes Hängerchen jenseits von Ibiza ein Missgriff. Erst recht in einer Barlounge, deren Farbgebung sich auf Cremeweiß, Eierschalenweiß und Milchkaffeebeige beschränkt.«
Nelly zieht die Schultern hoch. Ricarda hat nicht ganz unrecht. Sie fällt hier auf wie ein bunter Hund, wohingegen sich Ricardas Business-Anzug so makellos ins unterkühlte Ambiente fügt, dass Ricarda beinahe mit dem Loungesessel verschmilzt. Wenn Ricarda allerdings wüsste, was ihr Boss und Lieblingsfeind Rottländer – laut Becky – über ihre Business-Outfits und, schlimmer noch, über Ricardas Arbeit gesagt haben muss …
Nelly schluckt. Gut oder edel war nichts davon. »Voraussehbar«, »öde«, »einfallslos« lauteten die netteren Umschreibungen. Darf man der besten Freundin so etwas verheimlichen? Nur, um einen Auftrag zu ergattern? Ach, zum Teufel, sie braucht den Job! Sie will und darf nicht als wandelnder Offenbarungseid enden. Nach all den Jahren, in denen sie sich allein durchgeschlagen hat, tut eine Pleite ganz hässlich weh.
»Auch das noch«, stöhnt Ricarda hinter einer Cocktailserviette hervor.
»Was?«
»Die Klatschpresse läuft auf.«
Tatsächlich. Nelly entdeckt ein wackeres Trüppchen Fotografen, die auf Barhockern Platz nehmen und Kameraausrüstungen auf dem Tresen ablegen, für die man einen Waffenschein verlangen müsste. Einige Gäste kramen wie auf Kommando nach ihrem Handy und suchen offenbar den Fotomodus. Zwei oder drei packen sogar Digicams aus.
Ricarda schüttelt entnervt den Kopf. »Hier scheint heute B-Promi-Gerangel angesagt zu sein. In Köln läuft die Herrenmodemesse. Ich möchte wissen, warum Rottländer ausgerechnet diesen Laden ausgesucht hat. Und wenn der Pianist nochmal True love in diesem Schmelzkäsesound spielt, erschieße ich ihn!«
»Also, die Livemusik finde ich nett«, wirft Nelly ein, froh darüber, dass das Modethema abgehakt zu sein scheint.
11.
»Esel zu verschänken. Bitte vil Futtern. Gracias!!!!!«
Stirnrunzelnd und im milden Abendlicht liest Herberger den in abenteuerlicher Orthographie hingeworfenen Warn- und Hilferuf. Er ist auf die Rückseite eines Plakats mit grinsendem Zirkusclown gemalt, das am Gittertor einer riesigen Bauwiese baumelt. Neben dem Plakat leuchtet gelb ein Blechschild, das Unbefugten das Betreten mit Ausrufungszeichen untersagt. Ein grinsender Totenkopf auf orangefarbenem Grund und mit gekreuzten Knochen rundet die Liste der Warnhinweise ab. Das brachliegende Grundstück grenzt an den leeren Parkplatz eines Chemiewerks.
Herr Engels hat ihn, Frau Schick und Niklas samt Jaguar über ein Gewirr aus landwirtschaftlichen Nutzwegen, Reitpfaden und Ackerland von hinten auf das Werksgelände gelotst. Die Haupteinfahrt ist mit Schranken gesichert.
Es braucht eigentlich keine »Betreten verboten«-Schilder, um klarzustellen, dass sie auch auf dem Parkplatz nichts zu suchen haben. Und überdies nichts zu finden – bis auf zertretene Popcornbecher und den leisen Duft nach Sägespänen ist von dem Zirkus, der hier gastiert oder campiert zu haben scheint, genauso wenig zu entdecken wie von einem Zerberus.
»Sehen Sie
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