Frau Schick macht blau
sind. Wer die geschickt hat, werden sie am Montag klären. Sie war das jedenfalls nicht.
»Wirklich nicht?«, hat sich Herr Engels gewundert und misstrauisch geguckt. Geradezu beleidigend misstrauisch.
»Auf keinen Fall, und die Schick und Todden GmbH kann es auch nicht gewesen sein. Die baut keine Villenviertel, sondern Innenstadtparkhäuser«, hat Frau Schick klargestellt und ihr Ehrenwort gegeben.
Weil allerdings Ehrenwörter von Bauunternehmerinnen – wie Herr Engels zu Recht anmerkte – noch unglaubwürdiger klingen als die von Politikern, hat sie spontan einen Bibelschwur vorgeschlagen. Leider hatte Herr Engels keine Bibel zur Hand, obwohl er in seiner Blockhütte neben einem beachtlichen Sammelsurium von Gemüsesamen auch Bücher hortet, vor allem zentnerschwere Naturkundeschwarten. Wirklich erstaunlich der Mann, aber auf fünf verstaubte Bände Käfer des Deutschen Reichs mit farbigen Bildtafeln wollte Frau Schick ebenso wenig schwören wie auf den Taschenatlas aussterbender Kartoffelsorten oder einen Symposionsbericht über das Verschwinden der europäischen Honigbiene Apis mellifera mellifera.
Fündig geworden sind sie schließlich in Engels Abteilung für Philosophie. Nach einem kurzen Disput über Schopenhauer – den Herr Engels zu pessimistisch findet – konnten sie sich auf Ernst Blochs Prinzip Hoffnung einigen. Frau Schick hat allerdings eingewendet, dass hoffen und harren bekanntlich manchen zum Narren machen. Erst recht, wenn es um skandalöse Bauprojekte geht.
»Wenn wir zu hoffen aufhören, kommt, was wir fürchten, bestimmt«, hat Engels mit Bloch stur dagegengehalten und darauf bestanden, dass Bloch alles andere als ein Tagträumer war.
Frau Schick hat ihm – also Herrn Engels, denn Herrn Bloch kennt sie nicht so genau – trotzdem einen gehörigen Rüffel verpasst, weil er die Baumaschinenbrigade tatenlos hat aufmarschieren lassen und sich nur zu nächtlichen Bittgesuchen bei ihr aufraffen konnte. Da hätte er weit beherzter einschreiten müssen – bei ihr und vor allem bei Behörden, Ämtern und zur Not vor Gericht. Nur gut, dass sie sich mit Bauskandalen auskennt. Ihr Paulchen war selbst in ein paar verwickelt, was in dieser Branche und erst recht in Köln praktisch unvermeidbar ist. Aber Wälder hätte er nie und nimmer abgeholzt, schon gar nicht diesen. Auch nicht für Wanderparkplätze, in so was steckt überhaupt kein Geld.
Bei den Worten »Ämter« und »Gericht« hat sich urplötzlich Engels’ Fell gesträubt. Statt nach Karl Marx sah er wie ein sehr verzweifelter Einstein aus, der gerade entdeckt hat, dass seine berühmte Weltenformel zur Entwicklung von Kernfusion und Atombombe missbraucht wird.
Einstein?
Frau Schick unterbricht sich verwundert und richtet sich kurz im Baldriankissen auf. Moment mal! Der Vergleich ist jetzt aber neu. Das muss sie auch noch aufklären. Warum sie nur bei Herrn Engels plötzlich an Einstein denkt? Ihre nebulösen Ahnungen haben immer einen handfesten Grund, und wo jede Logik versagt, funktioniert ihr Verstand erfahrungsgemäß am besten. Aber was will ihr Verstand ihr nur mit Einstein sagen? Dass Zeit eine relative Sache ist? Hm.
Zugegeben, die einsamen Nächte in ihrer Villa waren zuletzt ellenlang, während die Zeit in dieser Hütte wie im Flug zu vergehen scheint und sie sich noch dazu mit einem Mal wieder ganz jung vorkommt. Nein, das kann jetzt nicht die Lösung sein. Sie nickt und klopft energisch ihr sonnengeblümtes Kissen auf. Na egal, wie sie auf Einstein kommt; es wird sich wie alles, was in ihrem bemerkenswerten Gehirn so vorgeht, irgendwann von selbst erklären.
Das wechselhafte Flämmchen von Engels’ Rebellenmut jedenfalls verlosch gänzlich. Sein kühn zerfurchtes Gesicht sah plötzlich nach unüberwindlichem Kummer aus. Mit anderen Worten: An diesem Punkt wurde es sagenhaft interessant.
Und Herr Engels still wie ein Kirchhof am Karfreitag.
Warum er vom Schwert der Justitia nichts hält, hat »höchst private Gründe«, hat Engels barsch beschieden und behauptet: »Die gehen Sie nichts an.«
Papperlapapp! Das lässt Frau Schick natürlich nicht gelten. In ihrem Wald gibt es ab sofort keine Privatangelegenheiten mehr. Zumal sie den Verdacht hegt, dass Herrn Engels’ private Gründe Hühnerhüte tragen und Niklas heißen. Und Niklas geht sie sehr wohl etwas an. Es scheint ja praktisch ihre Lebensaufgabe zu sein, Findelkinder im Wald aufzulesen.
Niklas ist jedenfalls ein Lausejunge, ein goldrichtiger noch dazu.
Weitere Kostenlose Bücher