Frau Schick macht blau
herrscht der Beamte endlich den Telefonhörer an und kneift die Augen zusammen, um stoppelnd einen Klassiker des Touristenvokabulars vom Bildschirm abzulesen. »Habla usted alemán? Sprechen Sie deutsch?«
Herberger verdreht die Augen, es ist ziemlich offensichtlich, dass der Señor Zirkusdirektor am anderen Ende es vorzieht, mit der Polizei weder Spanisch noch Deutsch zu sprechen.
»Darf ich mal?« Herberger greift über den Tisch und entwindet seinem verdutzten Gegenüber den Hörer. Er feuert eine Salve spanischer Sätze hinein und reicht das Gerät zurück über den Tisch. »Jetzt können Sie es noch einmal versuchen. Sagen Sie einfach, Zerberus müsse sofort abgeholt werden! Und keine Bange, der Kerl versteht Sie verdammt gut.«
Misstrauisch gleitet der Blick des Beamten zwischen Hörer und Herberger hin und her. Dann versucht er es schulterzuckend noch einmal. »Ist Ihnen ein Esel namens Zebulon gestohlen worden?«
»ZERBERUS«, geht Herberger entnervt dazwischen.
»Sie … äh … können diesen Zerberus bei uns abholen«, korrigiert sich der Beamte unwillig, aber mit Erfolg.
Mit einem Seufzer der Erleichterung vernimmt Herberger einen deutsch-spanischen Wortschwall, der aus der Sprechmuschel dringt und in dem die Worte regalo und presente – für Geschenk – und donnativo – für Schenkung – die Hauptrolle spielen.
Nach zwei, drei weiteren Fragen legt der Beamte auf. »Sie haben unzulässigerweise in meine Ermittlung eingegriffen«, belehrt er den vermeintlichen Delinquenten Herberger indigniert. »Diese Zeugenaussage darf ich so nicht verwerten.«
»Sie können das Gespräch gerne morgen mit einem vereidigten Übersetzer und vor Ort wiederholen«, erwidert Herberger ungerührt und beugt sich in seinem Plastikstuhl vor. »Wie oft soll ich es noch sagen: Die wollten den Esel aus guten Gründen loswerden. Das stand sogar am Zaun! Dieses Vieh ist bissig und vollkommen unberrechenbar!«
»Mag ja alles sein, aber Sie haben sich einer polizeilichen Kontrolle durch Fahrerflucht entzogen und in der ›Bond Bar‹ randaliert.«
Herberger nickt. »Ganz richtig, und nicht zu vergessen: Ich habe eine Feuerwehrzufahrt blockiert. Sie haben mir mit gutem Grund den Führerschein für den Abend entzogen, alles zu Protokoll genommen, und ich bin geständig. Aber – mit Verlaub – das langt kaum aus, um mich weiter festzuhalten und morgen einem Haftrichter vorzuführen! An Ihrer Stelle würde ich lieber mit Hochdruck daran arbeiten, Frau Schick zu erreichen. Die Dame ist fast 78 Jahre alt und – wie ich befürchte – in etwas zwielichtiger Gesellschaft unterwegs.«
»Und Sie mit Ihrem Jaguar«, versucht der Beamte, erneut Boden zu gewinnen.
»Der nicht als gestohlen gemeldet ist, für den ich den Fahrzeugschein vorgewiesen habe und der sicher verwahrt auf Ihrem Parkplatz steht«, geht Herberger in die Offensive. »Also, was ist? Soll ich es noch mal bei Frau Schick versuchen, oder wollen Sie es selbst tun?«
»Ein einziges Mal noch«, knurrt sein Bewacher unfreundlich. »Aber wenn ich wieder niemanden erreiche, würde ich Ihnen dringend zu einem Telefonat mit einem Anwalt raten, Herr …« Er macht eine süffisante Pause. »Wie war der Name jetzt genau? Es gibt da ja offenbar einige Varianten.«
»Ich heiße Gast, Eckehart Gast«, grollt Herberger. Er muss sich endlich wieder an seinen richtigen Namen gewöhnen und an ein Leben, das sich überall in der Welt abspielen wird, nur nicht auf dieser Wache und nicht in Köln, am besten nicht einmal in Deutschland.
Der Beamte greift zum Hörer.
»Versuchen Sie es mal auf dem Handy«, empfiehlt Herberger zögernd und nennt die Geheimnummer, die er zum Schutz von Frau Schick bislang für sich behalten hat.
Der Polizist tippt sie mit betont amtlichem Gesichtsausdruck in den Apparat.
Nach ein paarmal klingeln hebt tatsächlich jemand ab und scheint sich mit Schick zu melden, denn der Beamte stellt sich betont harmlos vor, wie Kriminaler es bei älteren Damen zu tun pflegen.
Oder bei Kindern.
»So, du bist also der Niklas«, nimmt der Polizist soeben zu Protokoll.
Mit wachsender Verblüffung verfolgt Herberger das zweite Vernehmungsgespräch dieses Morgens. Es verspricht noch chaotischer zu werden als Verhör Nummer eins.
»Darf ich auch wissen, wie alt du bist?«
Anscheinend muss Niklas das erst an seinen Fingern abzählen und dreimal nachrechnen. Die für Herberger unhörbare Antwort fällt erstaunlich langatmig aus. Merkwürdig, als Plappermaul hat sich
Weitere Kostenlose Bücher