Frau Schick macht blau
»Ihr Sohn möchte wissen, wann Sie in Oma Schicks Schrebergarten kommen, um mit ihm den Esel einzureiten.«
17.
Frau Schick hat es wie die Schemutat gemacht. Sie ist mit den Hühnern aufgestanden, genauer gesagt mit zwei Türkentauben. Ergriffen steht sie auf Socken und in eine Decke gehüllt im Türrahmen ihrer Gartenlaube, lauscht Liebeskukuruku und Amselflöten und atmet den mit Waldgeruch gewürzten Morgendunst. Fein wie Elfennebel verschwebt er über ihrem Garten und weicht dem ersten Sonnenfunkeln, das einen warmen Spätsommertag ankündet. Frau Schick blinzelt zum Himmel, der die Dämmerung in zarten Seidentönen verklingen lässt und preußisch Blau zum Taggewand wählt.
Schopenhauer hat wie immer recht: »Der Morgen ist die Jugend des Tages, und am Baum des Schweigens wächst die Frucht des Friedens.«
Die Vögel beenden ihr Frühkonzert mit den fünf Flötentönen von Mozarts Vogelfänger Papageno. Frau Schick stutzt. Nanu, das kann nicht sein. Sie spitzt die Ohren erneut. Das klang doch ein bisschen wie ihr Handy. Nein, das war ein Irrtum, aber das entfernte Kläffen von Stalin ist keine Einbildung.
Sie blinzelt, streift mit unscharfem Blick eine unfrisierte Ligusterhecke und entdeckt auf dem weiten Wiesengrund, der sich an ihren Garten anschließt und gleichsam den Dorfanger der Waldkolonie bildet, Zerberus.
Braves Tier! Er trappelt muntere Kreise und trägt Niklas mit dem Hühnerhut auf seinem Rücken. Stalin umspringt mit fröhlichem Bellen Zerberus’ Hufe. Mit der linken Hand klammert sich Knirps Niklas in die Bürstenmähne des Esels, die rechte presst er seitlich gegen Fredas Hut. Den will er wohl nicht verlieren, während er im Eselgalopp zur Rückkehr in seinen Garten ansetzt.
Der Kleine springt ab, erklimmt die Treppe zu seinem Bauwagen und taucht mit einer Geige wieder auf, setzt sich auf die Treppe des Wagens und beginnt zu fiedeln. Reichlich krumm und doch wunderschön. Ein Anblick vollkommener Unschuld. Ihre Kolonie Waldfrieden ist wirklich und wahrhaftig ein kleines Paradies.
Wenn alle Menschen einen Garten hätten, dann sähe die Welt bestimmt gleich besser aus, denkt Frau Schick. Kein Mensch, der mit Hingabe gärtnert, kann auf Dauer ein Schurke sein oder bleiben. Mürrisch vielleicht, eigenbrötlerisch und kauzig, aber doch nie von Grund auf schlecht. Da ist sie sich sicher.
Ihre Augen durchwandern neugierig den eigenen Garten.
Hoppla, bisschen wüst der Gute, aber was es im Hellen alles zu entdecken gibt! Nein, wie schön! Lauter tapferer Löwenzahn wächst auf der ungemähten Rasenfläche. Sie erinnert sich noch, wie erfreut die Koloniebewohner nach dem Krieg seine Ankunft begrüßten, weil er den ersten Salat verhieß.
Eine Armee aus Gänseblümchen, lila Taubnesseln in Kompaniestärke und viele, viele Gänsedisteln unterstützen den Löwenzahn im Kampf um jeden Quadratzentimeter Rasen. Frau Schick macht einen Schritt vor und schnell wieder zurück. Sie blickt nach unten und entdeckt vor ihren Füßen einen Distelhorst, der die Terrassenplatten aufgesprengt hat.
Zu blöd, wenn man auf Socken in so etwas hineintritt. Hoffentlich mag Zerberus Gänsedisteln. In Socken pieken die nämlich ganz grässlich und in Salaten sicher auch. Überhaupt verträgt sie in ihrem Alter Salat sehr schlecht. Es führt zu lästigen Darmstreichen, wenn sie es mit der Rohkost übertreibt. Fazit: Etwas von dem ganzen Salat muss weg.
Tja, und die Brennnesseln, die linker Hand zur Eroberung ihrer Laubenterrasse ansetzen, ergeben zwar einen Tee, auf den die Schemutat geschworen hat, um Schuster Popeschs gichtige Knie zu kurieren, aber so viel Brennnesseltee kann kein Mensch trinken und Gicht hat sie nicht. Immerhin, stellt Frau Schick mit Blick nach rechts erleichtert fest, immerhin besitzt sie neben der Laube eins, zwei, drei, vier Apfelbäume. Es sind knorrige, mit Flechten bewachsene, prall gefüllte Apfelbäume. Der süßlich herbe Duft von mehreren Pfund Fallobst gemahnt allerdings an die faule Pechmarie auf dem Weg zu Frau Holle.
Ach, rüttel mich, ach, schüttel mich, meine Äpfel sind doch alle reif , tönt es in Frau Schicks Ohren.
Später, verspricht sie den Bäumen. Später.
Das Apfelpflücken kann Nelly erledigen, sobald sie eine Leiter aufgetrieben hat. Beim Apfelpflücken und mit einem Korb am Arm wird Nelly reizend aussehen. Leiter merken!, befiehlt sich Frau Schick. Nein, besser erst mal nur Bleistift. BLEISTIFT. Sie muss ihre Einkaufs- und Besorgungsliste schriftlich anlegen,
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