Frau Schick macht blau
ich gepackt habe, brechen wir auf. Am besten schon heute Abend, spätestens morgen in aller Frühe. Betrachten Sie meine Intervention bei Dr. Kubuleit als Abschiedsgeschenk und Dank für das einzigartige Vergnügen, Sie kennengelernt zu haben.«
Frau Schick ist für einen Moment sprachlos. Bei Gott, dass meint der ernst, sogar todernst.
»Und natürlich Zerberus«, versucht Engels mit Blick auf den grasenden Esel die Stille wegzuscherzen.
»Sie können doch jetzt nicht gehen«, ruft Frau Schick empört.
»Ich muss«, sagt Engels und steht zum Beweis endgültig auf.
Frau Schick erwägt flüchtig eine erneute Herzattacke. Das dumme Ding macht ohnehin gerade Anstalten, außer Takt zu geraten. Nein, beschließt sie rasch, zweimal ist einmal zu viel, und diesmal würde sie damit garantiert im Krankenhaus landen. Der Professor ist sicher kein Anhänger der Blumenwassertherapie. Es hilft also nur ein resoluter Frontalangriff, um ihn festzuhalten.
»Die Schrebergärten habe ich von meinem Paulchen bekommen«, begehrt sie kampflustig auf. »Von Ihnen erwarte ich als Dank ein anderes Geschenk!«
Das Wort Abschied lässt sie selbstverständlich weg.
»Was sollte ein Mann wie ich Ihnen groß schenken können? Sie sehen doch, wie es finanziell im Moment um mich steht!«
»Die Wahrheit kostet keinen Cent! Raus mit der Sprache: Warum haben Sie sich im Wald versteckt?«
»Ein langwieriger Rechtsstreit hat meine Mittel weitgehend erschöpft, mein Schrebergarten war die letzte Zufluchtsmöglichkeit. Näher möchte ich meine Lage nicht schildern. Das Ganze ist mir unangenehm genug.«
»Und wo in drei Teufels Namen wollen Sie ohne Geld und Freunde jetzt hin?«
Herr Engels senkt den Blick und glättet mit fahriger Geste den Bart, während sich zeitgleich seine Stirn in tiefe Kummerfalten legt. »Ich bleibe Ihnen die Antwort nur ungern schuldig, Frau Schick, aber hier wissen bereits mehr Menschen, als mir lieb ist, von Dingen, die nur mich und Niklas etwas angehen. Mein nächster Aufenthaltsort muss geheim bleiben.«
»Ich bin mir sicher, dass Niklas an Ihrer Art von Versteckspielen kein Interesse hat«, entgegnet Frau Schick scharf. Sonst würde der Knirps ja wohl kaum weglaufen.
»Sie täuschen sich«, sagt der Professor kopfschüttelnd. »Der Wald war seine Idee, er mag das Leben hier, sonst wäre ich niemals so lange geblieben. Ich hielt diesen Ort für sicher, und das war er auch …«
Eine minderschwere Explosion auf der Weide beendet Engels’ Satz. Pottkämper krakeelt etwas von Polizei und »alle verhaften«. Auf Frau Schicks Wiese zerrt Zerberus mit Zorngebrüll an seinem Strick. Das ist eindeutig zu viel Radau für einen Mann, der öffentliche Spektakel hasst. Der Professor hastet über den Rasen zum Plattenweg in Richtung Gartentor.
Verflixter Kalle! Frau Schick stemmt sich aus ihrem Liegestuhl, um die Verfolgung aufzunehmen. »So bleiben Sie doch stehen!«, ruft sie Herrn Engels hinterher.
»Wer war das mit dem Chinakracher?«, markiert Pottkämper auf der Weide den starken Mann. »Flucht ist zwecklos! Ich kenne sämtliche Personalien aus den Vereinsakten.«
»Herr Engels! Denken Sie an mein armes Herz«, markiert in ihrem Garten Frau Schick zeitgleich die schwache Frau, weil der Professor in wenigen Sekunden den Plattenweg erreichen wird und der dumme Spruch über alte Damen und D-Züge den Tatsachen entspricht. Leider hält ihr Herz Herrn Engels nicht auf. Frau Schick probiert sich an einem dramatischen und durchdringenden Stöhnen. Klingt nicht gerade damenhaft, sondern ein wenig nach ostpreußischer Elchkuh, dafür zeigt es Wirkung.
Zerberus antwortet mit inbrünstigem »I-aaaah!«, reißt sich vom Apfelbaum los, wirft mit einem Bocksprung den flüchtenden Professor zu Boden, erreicht im Galopp den Plattenweg und passiert mit einem Satz das Gartentor.
»Halten Sie den Esel zurück!«, schreit Sekunden später Pottkämper. »Die Polizei ist gleich hier.« Das Jaulen eines Martinshorns im Wald gibt ihm Recht. Scheint so, als habe die Bangbüchs die Staatsmacht bereits nach den Harkenwürfen alarmiert.
Der Professor rappelt sich unter einem Apfelbaum auf. Frau Schick klammert sich flugs an ein rostiges Rankgitter, stöhnt erneut und greift sich ans Herz, um glaubwürdig Schwäche demonstrieren zu können, sobald Herr Engels sich zu ihr umdreht. Tut er aber nicht.
Der Professor steht nur da wie ein gefällter Riese und starrt Zerberus hinterher, der seine Weide im Sturm erobert und befeuert vom Knallen
Weitere Kostenlose Bücher