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Frau Schick räumt auf

Frau Schick räumt auf

Titel: Frau Schick räumt auf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellen Jacobi
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Geldsorgen hat, seit er seine Stelle als Arzt in Santiago aufgegeben hat.«
    »Es kann nicht Paolo sein«, wiederholt Nelly. »Das wüsste ich.« Schließlich kennt sie sich mit falschen Sonnengöttern aus.

34.
    Tosantos und alle seine Heiligen müssen warten. Nelly hat jetzt keine Zeit, Javier nachzurecherchieren. Stattdessen hat sie sich im Internet an Eckehart Gast festgelesen, und zwar auf dessen Homepage »Gast-Reportagen«. Die ist geradezu ärgerlich interessant, verrät aber nichts über mögliche Schurkereien.
    Nelly macht eine kurze Pause und rollt zur Entspannung mit den Schultern. Sie hockt in einem düsteren Kabuff vor einem Flachbildschirm. Das winzige, mit einem verschossenen Brokat ausgekleidete Kämmerchen muss einmal eine Fernsprechzelle gewesen sein. Es gehört zu dem altehrwürdigen Landgasthaus, das Paolo in Viana als Ersatzunterkunft für die Reisegruppe gebucht hat. Irgendwie hat Herberger die Gruppe überzeugt, die Übernachtung im sechzig Kilometer entfernten Santo Domingo de la Calzada zugunsten des Landhotels, das sich zwischen Weinberge und rot schimmernde Anhöhen schmiegt, ausfallen zu lassen. Und das, obwohl vor der Tür des Plüschhotels ein niegelnagelneuer Luxusbus für vierzig Fahrgäste steht und den Fahrer sehr glücklich macht.
    Damit wird die Gruppe erst morgen Abschied von Navarra nehmen und die Höhepunkte der angrenzenden Region La Rioja kennenlernen, die bereits für heute auf dem Programm standen. Paolo hat Herbergers Programmänderung zugestimmt. Nellys Grüppchen, dem nach vierunddreißig Wanderkilometern nur nach Ausruhen und Duschen zumute war, sowieso. Selbst Hildegard hat – beruhigt durch die Aussicht auf die Weiterfahrt in einem Bus mit Liegesitzen, Klimaanlage, Panoramascheiben und gelegentlichen Spezialführungen durch Herberger alias Gast – für Viana votiert. Und Frau Schick, die mit Hermann und Martha schon Stunden zuvor in Viana eingetroffen war, ist einverstanden, weil »ich und meine Damen jede Menge zu tun haben«.
    In der Tat.
    Bettina schwitzt über einem Gesundheitsbulletin, das der mutmaßlichen Intrige des Vorstandes den Wind aus den Segeln nehmen soll. Frau Schick sitzt in der Bar und denkt sich Dummheiten über sich selbst aus. Die Rolle der verrückten Alten behagt ihr. Und Nelly recherchiert im Kabuff Daten und Fakten zur Person Eckehart Gast. Sie wendet sich wieder seiner Homepage zu.
    Es ist wirklich erstaunlich, wo dieser Mann schon überall war. Nelly schwirrt bereits der Kopf, so viele Bilder von Vietnam, dem Amazonas, aus der Karibik, von den Lofoten und diversen Südsee-Atollen hat sie bereits durchgeklickt. Ihr Notizblock ist längst vergessen, weil sie immer wieder hängengeblieben ist, wenn eine Landschaft besonders atemberaubend war oder eine Videoaufnahme auf Herbergers Homepage sehr anrührend. Besonders gefallen hat ihr die von einem Fingertier auf Madagaskar. Glupschäugig und höchst erstaunt linst der winzige Lemur zwischen seinen Riesenohren in die Kamera. Er krallt sich mit seinen Riesenfingern ins Geäst eines Regenwaldes und hopst nach reiflicher Überlegung von Ast zu Ast und in die Nacht davon. Das macht Lust auf mehr.
    Am Amazonas bewundert Nelly Brüllaffen, kunterbunte Tukane und aufstiebende Papageienschwärme, dann taucht sie in Unterwasserbilder von Alligatoren und Piranhas ab. Sie kann auch einem Besuch im legendären Opernhaus von Manaus nicht widerstehen und liest sich wieder fest. Längst entthronte Kautschukbarone und heimwehkranke Musikenthusiasten der Belle Epoque haben das Theater in die Amazonasstadt verpflanzt. Eine Zuckerbäckerfantasie in Neobarock, samt Murano-Lüstern, Treppen aus italienischem Marmor, buntglasierten Dachziegeln aus dem Elsass, Seidensamtportieren aus Lyon und einem Deckengemälde, dessen Farben ein Delirium tremens auslösen.
    Herberger hat die Bilder mit dem schwebend ahnungsvollen Anfang von Verdis Ouvertüre aus La Traviata unterlegt, der in heitere Walzerklänge übergeht. Ein bisschen arg kitschig, aber passend, findet Nelly. Sie träumt sich immer weiter weg von ihrem Auftrag, den Lügen von Frau Schicks Chauffeur auf die Schliche zu kommen. Sieh her, scheint die Homepage zu sagen, so viel kann ein Mensch aus seinem Leben machen, wenn er seine Wünsche und Talente ernstnimmt.
    Und wenn er Zeit und keine Kinder und keine Bindungen hat, ruft Nelly sich in die Realität zurück. Pah, so ein einsamer Wolf wie Herberger möchte sie gar nicht sein!
    Sie zückt den Notizblock.
    Eine

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