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Frau Schick räumt auf

Frau Schick räumt auf

Titel: Frau Schick räumt auf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellen Jacobi
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Fotomotiv für vorbeischlendernde Pilger abgibt. »Hühner hoch unter der Decke in einem engen Käfig einzusperren, also nein!« Bettina schüttelt den Kopf.
    »Paolo hat gesagt, dass das Hühnerpaar täglich gewechselt und von Hand mit ausgewähltem Korn und Schrot gefüttert wird«, tröstet Frau Schick ihre Reisegefährtin. »Mit Batteriehaltung hat das wirklich nichts zu tun. Der Hahn wirkte sehr fröhlich, und wenn ich mich nicht täusche, hat das Huhn sogar ein Ei gelegt. Welches Huhn darf schon in einem vergoldeten Käfig aus der Meisterwerkstatt eines gotischen Künstlers brüten? Und solange die beiden Vögel sich besser verstehen als Hildegard und Ernst-Theodor, ist Platz in der kleinsten Hütte.«
    »Schscht«, macht Bettina, weil die gerade Erwähnten soeben mit Hermann und Martha die Kirche verlassen.
    Frau Schick dreht sich um und studiert betont verzückt die prächtige Kirchenfassade aus gelbgrauem Stein. Hübsch, wirklich hübsch.
    Die Legende vom Hühnerwunder von Santo Domingo de la Calzada hat ihr auch recht gut gefallen. Vor allem, weil eine Pilgerfamilie aus dem Rheinland die Hauptrolle spielt. Vater, Mutter und ein hübscher Sohn, so hat Paolo erzählt, sollen im Mittelalter und auf dem Weg nach Santiago de Compostela hier in Santo Domingo übernachtet haben. Die Wirtshaustochter hat sich unsterblich in den rheinischen Jüngling verliebt, er sich aber nicht in sie. Darum hat die Verschmähte ihm einen Silberbecher ins Gepäck geschmuggelt, woraufhin der junge Mann am nächsten Tag prompt verhaftet und zum Tod durch den Strang verurteilt wurde. Gut möglich, dass man das im Mittelalter so gehandhabt und darum gern an das nachfolgende Wunder geglaubt hat. Die Eltern sind nämlich zum Grab des heiligen Jakob weitergepilgert – immerhin noch gute sechshundert Kilometer – und haben um Hilfe für den Sohn gebetet. Auf ihrem Rückweg durch die Weinberge von Rioja und das Örtchen Santo Domingo – also nochmal sechshundert Kilometer später – fanden sie den Sohn dann zwar am Galgen, aber lebendig, weil der heilige Jakob unter ihm kniete und seine Füße abstützte. Flugs sind die Eltern zum Bischof geeilt, um ihren Sohn abknüpfen zu lassen. Der wenig wundergläubige Bischof saß beim Sonntagsmahl und aß geschmortes Federvieh.
    »Unsinn«, soll der Kirchenfürst über das angebliche Mirakel vom lebenden Erhängten gewettert haben. »Der Jüngling ist so tot wie diese beiden Hühner auf meinem Teller.« Pustekuchen, denn in diesem Moment begannen die Brathähnchen zu fliegen. Wenig später wurde der rheinische Galgenvogel abgeknüpft. Schönes Märchen und der Grund dafür, dass es seither Hühner in der Kirche des heiligen Dominikus von Santiago de la Calzada gibt. Wenn sie im Angesicht eines Pilgers ordentlich herumkrakeelen, so heißt es, endet dessen Jakobsweg segensreich. Obwohl sie eigentlich nicht an so etwas glaubt, ist Frau Schick klammheimlich ein bisschen froh, dass der Gockel sie mit kräftigem Kikeriki begrüßt hat.
    Schade nur, dass junge Mädchen und Bettgeschichten in den Heiligenlegenden immer so schlecht wegkommen, sinniert sie stumm, aber, na ja, manche Frauen sind ja wirklich falsche Schlangen und Verführerinnen. Etwa Thekla. Ach was, nein!, ruft sie sich zur Ordnung. Der Vergleich hinkt. Erstens hat sicher Paulchen die Thekla verführt, und zweitens hat Thekla keine mörderische Rache mit geklauten Silberbechern inszeniert.
    Hinterhältig war Thekla nie, das muss Frau Schick ihr zugestehen, aber eine Erklärung für die Bibelverse über die Balken im eigenen – also Frau Schicks – Auge und den Grund, aus dem sie ihr Röschen zeitweise gehasst hat, ist sie immer noch schuldig. Hoffentlich kommt bald nochmal Post von Thekla. Vielleicht heute Abend in Burgos.
    Im hiesigen Parador-Hotel, wo sie gestern ja eigentlich hätten nächtigen sollen, hat Frau Schick schon vor der Messe gefragt. Aber da wartete auf sie nichts außer lästigen Firmenfaxen. Mit denen wird sie sich für den Rest der Reise nicht mehr rumschlagen. Sie hat hier schließlich genug zu tun.
    »Wollen wir einen Kaffee trinken?«, schlägt Bettina vor, nachdem sie die Kirche mit Quijote einmal umrundet haben. Sie weist in ein schattiges Steingässchen. »Bis Herberger und Nelly sich unserer Gruppe wieder anschließen, dauert es sicher noch ein Weilchen.«
    Die beiden haben sich am Morgen auf Nellys ausdrücklichen Wunsch hin in einem staubstillen Dorf hinter Riojas verträumter Hauptstadt Logroño von den

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