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Frau Schick räumt auf

Frau Schick räumt auf

Titel: Frau Schick räumt auf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellen Jacobi
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Jetzt aber erträgt sie sie nicht.
    »Herr Viabadel hat mir gesagt, er müsse diesem jungen Mann helfen«, erwärmt sich Bettina weiter für ihren eben noch verschmähten Verehrer, »weil der …«
    »Papperlapapp!«, schneidet Frau Schick ihr das Wort ab. »Jetzt müssen wir uns erst mal um Nelly kümmern!« Sie stützt energisch die Hände auf den Tisch, erhebt sich und stößt ihren Stuhl mit den Kniekehlen nach hinten. Gerade will sie nach ihren Wanderstöcken greifen, als Herberger durch einen gemauerten Torbogen in das Kellergewölbe tritt. »Herberger! Sie schickt ausnahmsweise der Himmel. Sie müssen sofort Nelly suchen. Sie ist ohne Aufsicht in Burgos unterwegs. Das ist gegen unsere gestrige Abmachung.«
    Ihr Chauffeur schüttelt verärgert den Kopf. »Frau Schick, gönnen Sie mir eine Pause. Ich bin als Hundesitter bereits mehr als ausgelastet. Quijote hat mich gerade einmal um ganz Burgos gejagt und drei Dosen Hundefutter verschlungen, die ich auf Ihre Anweisung hin mit Safran gewürzt habe – was im Übrigen schade um das edle Zeug ist. Wenn Sie erlauben, würde ich jetzt gern eine Tasse Kaffee zu mir nehmen.«
    »Ich erlaube das keinesfalls. Sie müssen umgehend Nelly finden.«
    »Worum geht es hier denn überhaupt?«, drängt sich Bettina dazwischen.
    »Um Haare im Waschbecken und herumliegende Socken«, knurrt Frau Schick. »Lauter Dinge, die Nelly nicht braucht. Zumindest nicht, wenn sie zu Herrn Tosantos gehören.«

41.
    Nelly hat nicht widerstehen können. Sie ist noch einmal zur Kathedrale von Burgos geschlendert und hineingegangen. Morgens um halb acht ist die Kirche ein eigenes, still in sich ruhendes Universum. Ein Ort, der aus der Zeit gefallen ist und darum alle Zeit in sich birgt. Umhüllt vom warmen Wohlgeruch brennender Kerzen knien einzelne Frauen in Bänken und flüstern Gebete, frisch gerüstete Pilger entzünden Wachslichter vor Heiligenbildern oder stehen wie gestern Nelly mit gereckten Köpfen am Grab von El Cid, um sich von dem Lichtmosaik in der Turmhaube zu verabschieden, bevor sie auf den Sternenweg zurückkehren.
    Hinter Burgos erwartet die Pilger die Ödnis der Meseta, einer kahlen, dünn besiedelten Landschaft unter dörrender Sonne, in der es kaum einen Baum, kaum einen Strauch und kaum einen Menschen gibt. Wie tröstlich und köstlich müssen schon für die Pilger des Mittelalters die Erinnerungen an die Fülle, den Glanz und die Pracht dieser Kathedrale gewesen sein. Und an die gute Verpflegung und die sichere Nachtruhe in einer damals wie heute von Reichtum und Wohlstand gesegneten Stadt. Während ein Organist in verhaltener Lautstärke ein Introitus für die Messe übt, treibt Nelly wie schwerelos durch das Kirchenschiff und lässt ihre Blicke zwischen Himmel und Erde tänzeln. Sie durchstreift den Kapellenkranz im Chorumgang und schaudert erneut beim Anblick des nach Barockmanier Gekreuzigten.
    Der Künstler hat den leidenden Christus als bewegliche Gliederpuppe erschaffen, diese mit gebleichter Büffelhaut überzogen und Menschenhaar und echte Fingernägel eingesetzt, hat Herberger erzählt. Nelly gruselt es. Ihrer Meinung nach ist eine derart plastisch-drastische Verklärung von Schmerz und Passion kein »Guck mal« wert.
    Leiser Gesang lenkt Nelly in die vom Hauptschiff abgetrennte Kapelle der heiligen Anna, der Mutter Mariens. Die Musik kommt wie in so vielen Kirchen am Camino nur von Band oder CD, aber sie ist dennoch magisch schön und stimmig. Kristallklare Frauenstimmen intonieren in Endlosschleife ein schlichtes Gebet. Die Töne und Worte kräuseln sich in der Luft, vermählen sich mit steinernem Blattrankenwerk und schweben durch den gewaltigen Raum. Nada te turbe – nichts soll dich ängstigen. Nada te espante – nichts soll dich quälen, übersetzt Nelly die ersten Liedzeilen. Sie gefallen ihr, auch wenn sie nicht einer besinnlichen Andacht wegen hier ist, sondern um sich den Altaraufsatz in der Kapelle der heiligen Anna einzuprägen, den sie gestern nur flüchtig studieren konnte.
    Es ist ein dreiteiliger, farbenfroh bemalter und üppig vergoldeter Bilderbogen aus Holz. Mit Schnitzmessern und Liebe zum Detail hat ein flämischer Meister mit dem Namen Siloe aus der Wurzel Jesse nicht nur den meterhohen Stammbaum Christi, sondern die ganze ihm bekannte Welt- und Menschheitsgeschichte emporwachsen lassen, mitten hinein in einen Himmel, der Sonne, Mond und Sterne und damit Tag und Nacht in herrlichstem Blau vereint. Nelly reizen nicht die überlebensgroßen

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