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Frau Schick räumt auf

Frau Schick räumt auf

Titel: Frau Schick räumt auf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellen Jacobi
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Fenster betrifft, sollten Sie auf die Kirche von León warten«, mischt sich Herberger ein. »Sie ist die Königin des Lichts. Die Fenster von Burgos fielen 1813 einer Pulverexplosion zum Opfer.«
    »Womit Sie sich sicher blendend auskennen«, giftet Nelly und erschrickt selbst über ihren Zorn. »Verzeihen Sie.«
    Herbergers Gesicht verdunkelt sich kurz; seine Halsadern schwellen an, aber er schluckt eine Erwiderung herunter und fährt mit gut gespielter Gleichgültigkeit fort. »Das Farbspiel der Fensterrosette von Burgos sieht man nur am Mittag in Vollendung.«
    Nelly stürmt in die Kirche. Herberger folgt ihr auf dem Fuße. Will der sie beschatten?
    »Hören Sie«, stoppt Herberger sie im Eingang. »Wie wäre es, wenn wir uns auf eine emotionslose, rein sachliche Ebene der Unterhaltung einigen? Wir sind doch beide erwachsen und vernünftig. Sie ersparen mir kindische Anspielungen und Verhöre über meine Vergangenheit, und ich zeige Ihnen dafür den Fliegenschnäpper. Er schlägt in einer Minute zu.«
    »Wer?«
    »Der Papamoscas . Hermann bewundert ihn bereits ausführlich. Es handelt sich um ein Meisterwerk mittelalterlicher Feinmechanik aus Deutschland.«
    Nelly entdeckt Martha und Hermann nur wenige Meter entfernt. Wie gebannt starren beide nach oben. Nelly legt den Nacken in den Kopf.
    »Das ist die beste Haltung in dieser innen leider arg verbauten Kirche«, lobt Herberger. »Die erstaunlichsten Dinge kommen hier von oben.«
    Da muss Nelly wider Willen zustimmen. Sie bewundert die hellen Klänge, die eine buntbemalte Spielfigur mit Teufelsantlitz und zum Lachen geöffnetem Mund einer Glocke über dem Zifferblatt entlockt. Sechs Mal. Dann klappt der Mund der Spielfigur, die Fliegenfalle, zu.
    »Der Papamoscas ist die einzige Uhr in einer spanischen Kirche. Man ist hierzulande kein großer Freund der Kirchturmuhr, schließlich ist Gott der Herr der Ewigkeit und Zeit nur Menschenwerk«, erläutert Herberger.
    »Wunderschön«, flüstert Martha, die sich zu ihnen gesellt. »Hermann liebt mechanische Uhren und Glockenspiele. Er kann sich gar nicht losreißen. Er ist nämlich gelernter Uhrmacher und Goldschmied, müssen Sie wissen. Sein Traumberuf, den er leider früh aufgeben musste.« Sie seufzt.
    Nelly streift Hermann mit einem kurzen Seitenblick. Er starrt gebannt auf das Ziffernblatt, als müsse er die Uhr neu lernen.
    Zu viert erkunden sie weitere Geheimnisse der Kathedrale, und Nelly staunt, wie anekdotenreich der Geologe Herberger steinerne Chorschranken, Bildsäulen und den Kapellenkranz im Chorumgang zum Leben erwecken kann. Das ist beinahe so gut wie seine Homepage. Er kommt vom Hölzchen aufs Stöckchen, aber alles zusammen ergibt ein Bild, das sich einprägt und Lust auf mehr macht. Wahrscheinlich legt er sich für Martha und Hermann so ins Zeug. Vor allem für Hermann, den vieles so anzurühren scheint, als höre und sehe er es zum ersten Mal.
    Herberger lässt zu Nellys Erleichterung am Grab des El Cid die Lebens- und Kampfgeschichte von Spaniens berühmtestem Ritter beiseite. Der war nämlich, wie sie aus Studienzeiten noch weiß, erstens sterbenslangweilig, zweitens ständig in unübersichtliche Intrigen von Adelssippen mit ebenso unübersichtlichen Stammbäumen verstrickt und drittens gierig, grausam, ein Meister des politischen Seitenwechsels und nur der Legende nach ein fleischgewordener Held. Frau Schick würde der gruselige letzte Schlachtauftritt des Ritters sicherlich gefallen. In den soll der Kämpe kerzengerade, mit dem Schwert in der Rechten, aber bereits als Leiche auf das Pferd gebunden, geritten sein. Das soll angeblich genügt haben, um ein paar Hunderttausend Mauren in die Flucht zu schlagen.
    Nelly hebt auf Herbergers Empfehlung wie Hermann und Martha den Blick nach oben. Über dem Grab des El Cid leuchtet im Vierungsturm in schwindelnder Höhe ein Sternenhimmel aus Stein und Licht. Nelly staunt über die maurischen Muster des Glasmosaiks, die Zeugen des arabischen Erbes sind.
    Hermann diskutiert derweil mit Herberger Gesetze und Geheimnisse der Statik von Kreuzrippengewölben. Marthas Gesicht wird zu einer Studie verehrender Dankbarkeit. »Ein wahrer Segen, dieser Mann«, wispert sie Nelly zu und weist mit dem Kinn zu Herberger. Der lauscht mit hingebungsvoller Aufmerksamkeit Hermanns fachkundigen Anmerkungen zu Wimpergen und Filialen.
    Herberger, ein Segen? Das scheint Nelly dann doch gewaltig übertrieben zu sein. Nur weil jemand mit Begriffen wie »Filiale« und

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