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Frau Schick räumt auf

Frau Schick räumt auf

Titel: Frau Schick räumt auf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellen Jacobi
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nachdem ich ein Leben lang an innovativen Zünd- und Vergasertechniken für Motoren gearbeitet habe.«
    »Motoren?«
    Hermann nickt. »Zuletzt war ich mit der Erforschung und Entwicklung von neuen Laser- und Funkzündungstechnologien befasst, aber damit will ich Sie nicht langweilen. Ich habe für die Linzer Motorenwerke gearbeitet.«
    »Aber«, stammelt Nelly ungläubig, »dann sind wir ja Kollegen.« Beinahe zumindest, immerhin hat sie ebenfalls jahrelang für die Linzer Motorenwerke gearbeitet. Das war nicht immer ein toller Job, entpuppt sich jetzt aber als Segen, denn Hermann und sie haben ein Gesprächsthema gefunden, das ihm und ihr die Scheu vor unverhofften Aussetzern nimmt.
    Sie vertiefen sich in ein Fachgespräch, aus dem sie eine Viertelstunde später erfrischt auftauchen. Es ist Hermann, der schließlich auf seine Armbanduhr schaut, eine schöne, alte Aufziehuhr. »Zwanzig nach acht! Ich glaube, wir sollten zurück ins Hotel. Martha macht sich bestimmt schon Sorgen. Ich hatte versprochen, um …«, er blättert im Block, »um halb neun wieder dort zu sein. Schaffen wir das?«
    »Ja, mit Leichtigkeit«, sagt Nelly.
    Sie erheben sich aus der Bank, ihre Bewegungen fallen ein wenig steif und feierlich aus. Sie treten vor den Altar, legen die Köpfe schief und betrachten stumm das Weltgewimmel von Siloe.
    »Ich liebe diesen Drachen dort oben«, sagt Nelly und deutet auf ihn.
    »Und ich den Hund, der vom Letzten Abendmahl nascht«, sagt Hermann.
    Nelly muss die Augen zusammenkneifen, um ihn zu entdecken. »Meine Güte, haben Sie aber scharfe Augen!«
    »Ja«, sagt Hermann, »auf die ist nach wie vor Verlass. Ich werde vielleicht ohne Brille sterben. Auch wenn mir das nicht viel nützt. Ebenso wenig wie meine Finger mich noch retten können. Mein Talent habe ich an Motoren verschwendet, weil die Uhrmacherei nun einmal ein aussterbendes Handwerk ist, und für eine Goldschmiede hat es nie gelangt.« Er zuckt mit den Schultern. »Nun, ich hatte auch so ein reiches und ausgefülltes Leben.«
    Nelly zögert, tastet nach dem Opal in ihrer Tasche. Soll sie? Soll sie nicht? Sie zieht ihn hervor. »Hermann, ein Mann, der solch eine Kostbarkeit herstellen kann, ist ein Künstler.«
    Betroffen schaut Hermann auf den Opal hinab. »Wo haben Sie den her?«
    »Sie haben ihn in Viana vor meine Zimmertür gelegt.«
    »Sind Sie sich sicher? Ich erinnere mich nicht daran.«
    Das hat Nelly befürchtet. Sie wollte ihn nicht kränken oder bloßstellen, aber sie kann diesen Stein, der eine wundervolle Liebeserklärung an Martha und das Leben ist, in keinem Fall behalten. Daher nimmt sie Hermanns Hand, öffnet sie sacht, will den funkelnden Opal hineinlegen. »Sie müssen ihn Ihrer Frau geben. Ich nehme an, er war für sie bestimmt, nicht wahr?«
    »Nein«, sagt eine Stimme hinter ihnen.
    »Martha!«, freut sich Hermann und dreht sich um. Sein Gesicht wird wieder ganz das seine, alles darin findet den angestammten Platz, sein Lächeln, sein verträumter und vertrauender Blick.
    »Es hat alles seine Richtigkeit«, sagt Martha zu Nelly. »Der Stein gehört Ihnen. Hermann hält es auf jeder Reise, die wir machen, so. Er verteilt all die schönen Dinge, die er in den letzten Jahren erschaffen hat, so wie es ihm gefällt.«
    »Und leider oft wieder entfällt«, seufzt Hermann.
    »Darum hat er mich auch gebeten, nichts zu sagen«, erklärt Martha.
    »Man würde mich für einen furchtbaren Narren halten«, sagt Hermann.
    »Mein Lieber, das bist du nicht«, widerspricht Martha sanft. »Ganz und gar nicht. Die Steine erfüllen ihren Zweck, sie bereiten den Menschen Freude.«
    »Aber dieser Opal …«, stammelt Nelly, »ist doch viel zu wertvoll.«
    »Die Hauptsache ist, dass er Ihnen gefällt«, sagt Hermann. »Gestatten Sie einem alten vergesslichen Mann den eitlen Wunsch, ein paar Spuren zu hinterlassen und von Ihnen nicht vergessen zu werden?«
    Nelly kann nicht nicken, nur schniefen.
    »Martha, hast du ein Taschentuch?«
    Martha lächelt. »Du wirst es nicht glauben, Hermann, aber ich habe mir erlaubt, auch einmal etwas zu vergessen: meine Handtasche.«

42.
    Die von Pilgern oft gefürchtete Meseta-Etappe durch die endlosen Getreidefelder der Hochebene zwischen Burgos und León beginnt für die Reisegruppe beschaulich: in einem belebten Lebensmittelladen. In dem von Tafelbergen eingerahmten Ort Tardajos kaufen die Pilger ihren Proviant.
    Die ersten zehn Kilometer von Burgos bis hierher hat Paolos Gruppe im Bus zurückgelegt. Überhaupt

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