Frau Schick räumt auf
der Tat. Nur gut, dass es hier keine gibt. Aber wie Sie schon sagten, wird in jedem Pilgerführer vor ihnen gewarnt, und diese Warnung werden wir heute großzügig an alle Bettensucher in San Bol weitergeben, die die Zahl drei überschreiten.«
Nelly kann sich ein Grinsen kaum verkneifen. »Frau Schick, dass wäre aber böse gelogen und sicher nicht im Sinne der Nächstenliebe.«
»Das ist es sehr wohl«, sagt Frau Schick. »Ich schnarche nämlich ganz grauenhaft, und mir tun alle Menschen leid, die ich um den Schlaf bringe. Sehr leid sogar. Bettina, ich hoffe, Sie haben ausreichend Ohrstöpsel dabei. Ah, da kommt ja mein Filtro.«
Frau Schick kramt nach ein paar Scheinen. Der Hospitalero wehrt eine Weile ab, akzeptiert ihr Geld schließlich aber als ausdrückliche Spende für notleidende Wallfahrer. Im Gegenzug verspricht er, am Abend seine Reispfanne mit Huhn zu kochen. Eine Reispfanne, die nur ausgesucht netten Pilgern zuteilwerde und in ungezählten Camino-Blogs des Internet weltweite Berühmtheit erlangt habe. Stolz verweist der Hospitalero noch auf eine kleine Fotogalerie, die das wechselvolle Schicksal der Albergue von den Anfängen – ihrer Zeit als Hippie-Geheimtipp und zweifelhafter Drogentreff – bis heute dokumentiert.
Nelly und Bettina vertiefen sich ins Fotostudium, während Frau Schick ihren Kaffee genießt. Ganz vorzüglich ist der und Grund genug, in San Bol zu bleiben. Dieses Fleckchen Erde ist wunderbar weit ab vom Schuss und so klein, dass Quijote es problemlos von außen bewachen kann, wenn der reizende Hospitalero am Abend abschließt und sich auf den Heimweg ins nächstgelegene Dorf macht. Adiós, Herr Tosantos!
»Mein Gott.«
Frau Schick fährt herum. »Was ist?«
Nelly steht ganz dicht vor einer gerahmten Gruppenaufnahme, ihre Nase klebt beinahe am Glas. »Das ist er!«
»Wer?«, fragt Frau Schick scharf.
»Er«, piept Nelly. »Er war hier! Er war tatsächlich hier.«
»Wer?«, will auch Bettina wissen.
»Wann?«, fragt Frau Schick.
»1992«, entziffert Bettina das neben das Bild gekritzelte Datum. »Wirklich sehr interessante Augen und sehr eindrucksvolle Rastalocken. Sieht aus wie ein Schauspieler. Ist er einer? Es sollen ja inzwischen jede Menge Berühmtheiten hier gewesen sein. Hat ein bisschen was von Johnny Depp als Pirat der Karibik oder, nein, halt!, er erinnert mehr an – wie heißt noch der Schauspieler, der mal den Zorro gespielt hat und mit dieser älteren Alkoholkranken verheiratet ist.«
»Antonio Banderas«, sagt Nelly und wird blass. Sie entschuldigt sich hastig und verlässt fluchtartig den Raum.
»Aber, das ist doch kein Grund zur Panik!«, ruft Bettina ihr nach.
Nein, aber es ist ein Grund, San Bol schleunigst von der Liste akzeptabler Unterkünfte zu streichen, urteilt Frau Schick. Schade um den Kaffee, schade um die Reispfanne und gut, dass sie Dosensuppen eingepackt hat. Es sieht ganz danach aus, als warte eine Nacht unterm Sternenzelt auf sie. »Wir gehen dann besser mal.«
»Aber warum denn nur?«, wundert sich Bettina. »Wer ist dieser Mann denn eigentlich?« Sie zeigt auf das Foto.
Frau Schick betrachtet es flüchtig. Das Foto stammt eindeutig aus der Periode, in der San Bol als Drogentreff berüchtigt war. So glasige Augen bekommt man entweder nach sehr viel Hochprozentigem oder von etwas, das sie selbst nie probiert hat. Verteufelt hübsch ist dieser Herr Tosantos trotzdem und wird es wohl noch heute sein. Das kennt man von Alain Delon und Omar Sharif – egal wie viele Exzesse sie sich leisten, solche Männer sind selbst mit verwüstetem Gesicht und völlig verlebt bis an ihr Lebensende brandgefährlich. Arme Nelly. Schöne Männer sind die schlimmsten.
44.
Kastiliens Meseta nimmt zu Frau Schicks Ärger kein Ende. Vier Kilometer geht es nach San Bol weiter durch Sand, Steine, braune Erde und sonnenverbrannte Felder. Ein steter Wind bläst ihnen entgegen und treibt Sand und Weizenspreu vor sich her; beides nadelt in spitzen Stichen auf die Gesichter, die nackten Beine und Arme der Wanderer herab. Die Jacken flattern wie lose Segel, die Haare tanzen. Als Hildegard ihre Wasserflasche öffnet, fängt sich der Wind darin und pfeift sein höhnisches Lied. Martha hält Hermann sehr fest bei der Hand. Es geht bergab. Als Paolo das Örtchen Hontanas ankündigt, reißt ihm der Wind den Namen aus dem Mund und zerfetzt ihn in tausend Schnipsel. Ein »Guck mal« verkneift er sich. Von Hontanas ist weit und breit nichts zu sehen.
Das ist kein Wunder, denn
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