Frau Schick räumt auf
umschließen die weißen Steinbögen den blauen Himmel und die Landschaft. Der Camino geht mitten hindurch. Und auf ihm zwängt sich eine Herde von Schafen blökend und bähend durchs Tor und ergießt sich über den Weg.
Paolo kehrt dem mächtigen Tor den Rücken zu, breitet die Arme aus, sagt nur: »San Anton«, während die Schafe zu beiden Seiten an ihm vorbeiströmen. Die Sonne setzt eine Aureole aus Licht in seine Locken.
Die Wandergruppe versinkt staunend bis über die Knie in Schafswolle, Schafgeruch und Schafsgeblök.
»Der gute Hirte«, murmelt Bettina. »Was für ein Bild! Aber die Tiere müssten dringend geschoren werden bei der Hitze.«
»Allerdings. Außerdem riechen sie streng«, findet Ernst-Theodor, zieht sich vom Weg zurück und sucht in seiner Tasche nach dem Fotoapparat.
»Lass doch endlich mal die Knipserei!«, zischt Hildegard. »Schau einfach hin, und genieße den Augenblick.«
»Ich mag keine Schafe«, mault er.
»Warum willst du sie dann ablichten?«
»Will ich ja gar nicht. Mich interessiert nur San Anton.«
Nachdem die Herde und ein alter Schäfer mit Krummstab die Gruppe passiert haben, legen alle die Köpfe in den Nacken und betrachten die erhabene Ruine einer gotischen Kirche und eines Klosters, die links vom Weg aufragen.
»Perfekt«, raunt Frau Schick.
»Ja, es handelt sich um eine selten herrliche Ruine«, bestätigt Ernst-Theodor. »Der Konvent von San Anton ist ein Wahrzeichen des Weges, ein Triumph der Ewigkeit über …«
»Das meine ich nicht«, unterbricht ihn Frau Schick unwirsch. »Man kann hier schlafen! Sogar auf Englisch.«
»Englisch schlafen?« Ernst-Theodor ist irritiert.
»Sie Knallkopf! Ich meine das Schild! Das neben dem steinernen T. Es wirbt mehrsprachig für eine Übernachtung in der Ruine.«
»Das T ist ein Tau, das Symbol des Antoniterordens«, erläutert Ernst-Theodor beleidigt. »Ich finde es außerordentlich bedauerlich, diese herrliche Fassade mit einem handgepinselten Schild zu verschandeln, das von einem Vierjährigen zu stammen scheint. Die aufgemalten Mönche mit Zipfelmützen sehen ja aus wie die sieben Zwerge.«
»Du hast heute aber auch an allem etwas auszusetzen«, mäkelt Hildegard und hält schon wieder nach Herberger Ausschau.
»Entschuldige mal, aber diese Zipfelmützen-Männchen sind albern!«, empört sich ihr Gatte. »Die Antoniter zählten zu den ehrwürdigsten Orden des Mittelalters, und die Fratres galten als ausgesprochen fromm und heilkundig.«
»Wofür waren die denn gut?«, mischt sich Bettina freundlich ein.
»Wer?«
»Die Fratres.«
Sichtlich froh, endlich einmal gefragt zu sein, antwortet Ernst-Theodor ausführlich. »Die Antoniter haben Menschen mit Mutterkornvergiftungen behandelt und sogar heilen können. In einem Getreideanbaugebiet ist das eine sicher hochwillkommene Fähigkeit. Das Antoniusfeuer war nämlich eine gefürchtete Krankheit, die aufgrund einer Pilzvergiftung Gliedersterben und schwere Halluzinationen auslöste. Natürlich haben die Antoniter hier am Camino auch Pilger beherbergt und beköstigt.«
»Hoffentlich nicht mit Mutterkorn«, brummelt Hildegard.
45.
Frau Schick schwelgt im Glück. Sie hat recht gehabt. Das allein macht sie gewöhnlich schon zufrieden, aber San Anton ist nicht nur ein perfektes Versteck, sondern eine hinreißende Kulisse für eine Campingnacht in bester Pilgertradition.
Über dem Konvent ist inzwischen der Mond aufgegangen. Kein voller, aber die kleine Delle stört nicht. Er taucht die Ruine in silbernes Licht. Frau Schick würde es knochenbleich nennen, weil die weißen Gewölberippen sie an ein Walfischskelett und Gruselgeschichten erinnern, aber der poetische Rest ihrer Übernachtungsgefährten sieht das anders, silbern eben. Frauenherzen sind gefährlich unbelehrbar.
Nelly, Bettina und eine junge Amerikanerin mit dem hübschen Namen Hope sitzen im dachlosen Kirchenschiff und bestaunen die Milchstraße. Hope scheint nur darauf gewartet zu haben, dass sich mehr Pilger für eine gemeinsame Nacht in San Anton entscheiden, und hat sich sofort begeistert Frau Schicks Grüppchen angeschlossen. Nach Art der Amerikaner wollte sie gleich möglichst viel von ihr wissen. Und fand alles great .
Hope ist auf den Spuren von Shirley MacLaine unterwegs auf dem Jakobsweg und hat einen noch größeren Esoterikfimmel als Bettina. Sie spricht nicht mit Tieren, sondern mit Engeln, und die leben bei ihr nicht im Himmel, sondern unter Wasser, nämlich in Atlantis. Da spielen sie
Weitere Kostenlose Bücher