Frau Schick räumt auf
und sich irgendwann ganz von den Bodegas und seinem Erbe freimachen zu können. Was Papa Tosantos spitzgekriegt hat. Er muss ein Tyrann der schlimmsten Sorte sein. Schließlich hat er der Bar und Javier ein Jahr lang immer wieder das Ordnungsamt auf den Hals gehetzt, seinem Sohn die Lieferanten abspenstig gemacht und Kreditgeber vergrault, bis Javier dichtmachen musste. Das war just einen Tag, bevor Nelly in Bilbao gelandet ist. Daher der Stress am Flughafen und die Verwirrung während des Waldausflugs. Javier hat sie am See zurückgelassen, um sich telefonisch endgültig von dem Tyrannen loszusagen, und als er zurückkam, war sie verschwunden.
Nelly wird ganz wütend, wenn sie daran denkt. Und die Wut schenkt ihr wieder den Mut, den sie braucht, um Javier ein zweites Mal zu begleiten. Es ist ja nur ein Ausflug. Seine letzte Chance, mehr nicht. Und völlig unverbindlich, das hat sie Javier bereits gestern Nacht in San Anton deutlich gesagt. Im Mondlicht, ganz ohne zu wanken.
Ein Rascheln hatte sie geweckt. Es folgten ein unterdrücktes Freudewinseln von Quijote und ein spanisches Silencio . Nelly hat kurz gezögert, doch dann ist sie aufgestanden und vor die Baracke geschlichen. Da stand er. Javier. In Wanderkluft und mit flehendem Blick. Durch ein Kirchenfenster in der Rückwand der Ruine und reichlich Dornengestrüpp hatte er sich den Weg in den Hof und zu ihr gebahnt.
Nein, sie ist nicht wie von Sinnen auf ihn zugestürzt. Schon deshalb nicht, weil sie nur ein T-Shirt und eine Unterhose trug, die im Mondlicht peinlich weiß leuchtete. Wenigstens handelte es sich nicht um Schmetterlingsdessous, sondern um vernünftige Baumwollschlüpfer. Trotzdem ist sie erst einmal in die Baracke zurückgehuscht, um in ihre Jeans zu schlüpfen und zu überlegen, was sie tun soll. Dabei ist ihr ihr gestriges Mantra eingefallen.
Es ist, wie es ist.
Tja, und für sie ist die Liebe nun mal zum Glücklichsein unverzichtbar. Alles fügte sich zu einem Bild von betörender Klarheit: Man braucht Mut zum Glücklichsein. Und Risikofreude. Selbst die Geschichte von der Katze, die lernt voranzugehen, damit das Glück ihr nachfolgt, passte ins Bild. Nicht sie ist Javier gefolgt, sondern er ihr, und zwar genau in dem Moment, als sie sich entschlossen hatte, nie mehr an ihn oder die Liebe zu denken, sondern zu gehen. Einfach zu gehen.
Darum ist sie wieder zu ihm hinausgeschlichen, ohne die anderen zu wecken.
Javier hat die Arme geöffnet, aber sie hat sich nicht hineinfallen lassen.
»Was willst du hier?«, hat sie vollkommen vernünftig gefragt. Nicht zu schroff und nicht zu schüchtern, sondern sachlich und nüchtern. Auch wenn sie nur flüstern konnte, muss er das verstanden haben.
»Dich entführen«, hat er mit rauer Stimme gesagt.
»Das hatten wir schon.« Ohne mit der Wimper zu zucken, ist Nelly standhaft geblieben. Dich entführen. Das war ja wirklich zu blöd!
»Nelly, verzeih mir, bitte.« Javiers nächster Versuch klang in Nellys Ohren schon besser. Zu seinem Glück hat er den berüchtigten Satz »Ich kann alles erklären« weggelassen. Sonst hätte sie ihm nämlich eine geknallt und säße jetzt garantiert nicht neben ihm. Stattdessen ist er vor ihr in die Knie gegangen. Das war ein wenig theatralisch, aber einem Spanier muss man das nachsehen. Vor allem, weil Javiers Reue echt war.
»Bitte komm mit mir«, hat er gesagt. »Ich will dir zeigen, was ich vorhabe. Für uns. Für dich. Bitte. Ich schwöre dir, es wird dir gefallen. Es war doch deine Idee.«
Ihre Idee?
»Wurpswede, erinnerst du dich nicht?«
Nelly hat genickt und sofort gewusst, dass er natürlich Worpswede meinte. In ihren Mails hatte sie nämlich einmal von ihrem Traum von einer freien Künstlerkolonie und Lebensgemeinschaft nach Art dieses berühmten Malerdorfes geschwärmt, von einem Dorf für Freunde des Kreativen vom Kochen bis zum Gärtnern.
Um lauter reden zu können, sind sie dann durch das Kirchenfenster auf die Weide geklettert. Sie haben lange miteinander gesprochen, vor allem über Telefonate, die Frau Schick angenommen hat, und über Javiers Suche nach Nelly. Ein bisschen Neruda hat er auch zitiert, was Nelly ihm jedoch umgehend untersagt hat. Von Wurpswede hat sie ebenfalls Abstand genommen. Dennoch ist sie am Ende zurück in die Baracke gegangen, um ihren Rucksack zu holen. Der Mond schien so schön, und die Zikaden sangen, und Javier hat versprochen, dass er sehr gut zwischen Fantastereien und Vernunft unterscheiden könne und ganz auf ihr
Weitere Kostenlose Bücher