Frau Schick räumt auf
geht es natürlich auch. Ihr ist nur ein wenig schwindelig.
»Sie ist mit all ihren Sachen verschwunden«, erzählt Bettina aufgeregt. »Spurlos!«
»Unmöglich, wir haben doch aufgepasst wie die Schießhunde«, protestiert Frau Schick.
»Anscheinend nicht gut genug. Selbst Quijote hat nicht angeschlagen.« Bettina streckt Frau Schick die Hand entgegen und hilft ihr aus dem Bett, von dort auf einen Stuhl und dann auf den Boden.
Frau Schick sieht sich ratlos um. Im Bett nebenan zersägt Hildegard immer noch Bäume. Über ihr sitzt Hope im Schneidersitz auf der Matratze und gähnt. Frau Schick will wissen, ob sie etwas gehört oder bemerkt habe. Hope schüttelt bedauernd den Kopf.
»Holen Sie Herberger, rasch!«, weist Frau Schick Bettina an.
Bettina kehrt in weniger als zehn Minuten mit einem ausgesprochen munter wirkenden Chauffeur zurück, den Nellys Abwesenheit nicht groß zu bekümmern scheint. »Frau Schick, ich habe es Ihnen schon hundertmal gesagt: Nelly Brinkbäumer ist erwachsen!«
»In Teilen, das mag sein, aber in sehr wesentlichen Bereichen nicht. Wieso haben Sie nicht besser aufgepasst?«
»Das habe ich, liebe Frau Schick. Durch den Haupteingang ist niemand gekommen, das kann ich beschwören. Unser Pilgerwirt Sjören und ich haben uns die Nacht geteilt.«
»Und wie ist Nelly dann bitte hier herausgekommen?«
»Auf ihren Füßen, aus freiem Entschluss und schätzungsweise durch eines der haushohen Kirchenfenster auf der Rückseite«, sagt Herberger gelassen. »Eine Ruine wie diese bietet zahlreiche Fluchtmöglichkeiten, auch wenn sie mal ein Kloster war.«
»Ich bin mir sicher, sie wurde entführt«, beharrt Frau Schick, »und zwar von diesem spanischen Taugenichts.«
»Nelly Brinkbäumer eignet sich kaum als Entführungsopfer. Außerdem hat Quijote keinen Mucks von sich gegeben. Ich nehme an, sie wollte einfach allein weitergehen. Auf dem Jakobsweg fassen viele Menschen diesen Entschluss. Mitunter sehr plötzlich.«
Frau Schick schüttelt empört den Kopf. »Ohne mich? Auf gar keinem Fall. Sie müssen sie einholen!«
»Wie denn das, bitte schön?« Herberger wirkt zusehends genervt.
»Mit dem Jaguar natürlich.«
»Vielleicht ist Nelly ja auch nur bis Castrojeriz und zum Bus vorgelaufen, weil es ihr hier zu ungemütlich war«, sagt Bettina. »Um vier Uhr morgens habe ich auch ganz schön gefroren.«
»Prüfen Sie das, Herberger. Sofort! Na machen Sie schon. Ich dusche derweil.«
»Hier gibt es keine Duschen.«
»Noch ein Grund mehr, dass Sie endlich verschwinden! Ich kann mich schließlich nicht vor Ihren Augen umziehen und waschen.«
Nach Herbergers Abgang erledigt Frau Schick ihre Katzenwäsche in Windeseile und mithilfe einer Literflasche Wasser. Bettina macht die Betten, packt die Rucksäcke und kocht nebenan Instantkaffee. Für Hildegard, die weiterschlafen soll, bis Herberger zurückkehrt, löst sie drei Aspirin in Wasser auf.
Hope stürzt ihren Kaffee in einem Schluck herunter. »Ich seh mal nach der Post«, teilt sie den anderen beiden auf Englisch mit. »Vielleicht ist ja was von Nelly dabei.«
»Post von Nelly?« Frau Schick ist einen Augenblick verwirrt. Spricht Hope jetzt von Engelbotschaften oder Nachrichten aus dem Jenseits?
Hope lächelt vergnügt. »Kommen Sie mit, ich zeig es Ihnen.«
Sie führt Bettina und Frau Schick zu dem hoch aufragenden Torbogen am Camino und deutet auf eine Mauernische. »Hier haben die Mönche früher Essen für Pilger bereitgestellt, die nachts und nach Torschluss ankamen«, erklärt sie. »Heute hinterlassen Jakobspilger in der Nische Botschaften für Freunde, die eine langsamere Gangart bevorzugen, oder für Fremde, die sie auf dem Camino getroffen und wieder aus den Augen verloren haben.«
Frau Schick tritt an die Nische heran. Im Mauergelass türmt sich ein Sammelsurium von Notizen auf Zettelchen, Bierdeckeln, Postkarten und herausgerissenen Buchseiten. Dazwischen liegen Muscheln, Steine, kleine Blumensträuße, sogar ein neongrünes Monchichi, das die Nachricht » Keep on walking, Kate« am Fuß trägt.
Frau Schick gräbt in den Zetteln herum, beginnt zu lesen.
»Aber Frau Schick, das tut man nicht«, mahnt Bettina.
»Wieso, das ist doch kein echter Briefkasten!«, schnappt Frau Schick.
» Oh, look!« , ruft Hope. » This is for you. It says it’s to Frau Schick, named Rosken.« Die Adressanschrift ist in Englisch formuliert, aber das Wort »Röschen« bereitet Hope Schwierigkeiten. Sie probiert es noch einmal mit
Weitere Kostenlose Bücher