Frau Schick räumt auf
den Brüdern einer Ordensgemeinschaft, die ein Protestant nach dem Zweiten Weltkrieg gegründet hat. Gemeinsam halten sie Sommerlager mit Musik und Meditation ab. So geht das also auch. Interessant.
»Die Musik klingt aber eher katholisch«, findet Frau Schick. Die Texte sind lateinisch, und alles erinnert an psalmodierende Mönche, auch wenn Frauen mitsingen.
»Katholisch oder evangelisch, das spielt in Taizé keine Rolle«, sagt Paolo.
»Waren Sie schon mal da?«
» No. Aber meine Vater. Er hat mir die CD geschenkt.«
»Ist er ein sehr frommer Mann?«
» No, ein musikalischer«, sagt Paolo knapp und beschreibt Taizé als eine Art ständiges Zeltlager, in dem es abends Lichterfeste mit Gesang gibt.
Eigentlich hat Frau Schick von spirituellem Camping nach der Nacht in San Anton die Nase voll, aber der Gesang, der den Bus durchströmt, wärmt ihr das Herz. Thekla hätte das gefallen, ganz bestimmt sogar.
» Ubi caritas et amor« , singen weiche Männer- und Frauenstimmen gerade, begleitet von einer beachtlichen Gemeinde von sehr jungen und sehr alten, sehr frischen und sehr leisen, ja sogar mit schiefen Stimmen. Da hätte selbst die Schemutat mitsingen dürfen. » Ubi caritas et amor.«
»Wo Güte und Liebe ist«, übersetzt Frau Schick im Stillen mit.
» Deus ibi est.«
Da ist Gott.
Immer und immer wieder singt der Chor diese Zeilen.
Ja, entscheidet Frau Schick, da könnte was dran sein – falls es Gott gibt.
Hildegard sinkt mit einem Ratzepüüüüüh zur Seite. Ihr Kopf rutscht in Frau Schicks Schoß. Soll er mal da liegen bleiben. Wenn’s denn hilft.
49.
»Wenigstens einen Kaffee möchte ich, bevor wir loswandern«, insistiert Nelly.
Javier stimmt seufzend zu und führt sie in eine kleine Cafébar auf der Dorfstraße von Rabanal del Camino. Das Auto haben sie vor dem Ort endlich abgestellt. » Dos cortados« , bestellt er die spanische Variante des Espresso.
Nelly möchte lieber einen Filtro.
Was das denn sei, will Javier wissen.
»Ach nichts«, sagt Nelly.
Javier stürzt den Kaffee hinab und will weiter. Nelly schüttelt den Kopf und nippt an ihrem cortado . »Erst brauchen wir noch Wasser und etwas zu essen.«
»Nelly, wir gehen allenfalls sieben Kilometer.«
Nelly schüttelt den Kopf. Sicher ist sicher, findet sie. Paolo hat immer darauf geachtet, dass sie genug Wasser mitnehmen. So erstehen sie im Dorfladen etwas Proviant und zwei Halbliterflaschen agua mineral . Größere gibt es nicht, weil im Laden kein Platz dafür ist. Auf winzigstem Raum hat der Besitzer alles in handlicher Form versammelt, was Pilger brauchen, vom miniaturgroßen Marmeladenglas bis zum einzelnen Taschentuch. Zum Abschied schenkt er Nelly eine Hand voll Mandeln aus einem großen Sack.
»Können wir jetzt?«, drängt Javier.
Nein, Nelly braucht dringend noch ein bisschen »Guck mal«.
Javier versucht es mit einem feurigen Blick, aber das Feuer geht ihm langsam aus. Das ist Nelly sehr recht, sie will ja lieben und dennoch vernünftig sein. Außerdem ist Rabanal zu schön, um achtlos durch es durchzumarschieren. Es ist klein und verwittert und besteht aus nicht mehr als einer Ansammlung von geduckten Natursteinhäusern, die steile Gässchen säumen und irgendwann um eine uralte Mönchseinsiedelei emporgewachsen sind. Auf den Türmen eines angenagten Klosterkirchleins hausen über dem offenen Geläut fünf Storchenpaare. Zwei sind sogar zuhause. Was die wohl machen, wenn es gleich zwölf Uhr Mittag läutet?
Das muss Nelly einfach wissen. Obwohl Javier zunehmend ungeduldig schaut, bleibt sie stehen. Ein Mönch im Habit der Benediktiner gesellt sich kurz zu ihnen. Schweigend schaut er mit Nelly zu den Störchen hoch.
»Können wir jetzt gehen?«, fragt Javier erneut. »Bitte, ich will dich endlich überraschen, und das Läuten beginnt erst in zwanzig Minuten.«
»Nein«, sagt Nelly. »Noch nicht, ich mag Störche.«
Das freut den Benediktinermönch. Er mag sie nämlich auch und zitiert einen Psalm, der Gott ausdrücklich für ihre Erschaffung lobt. Außerdem preist er den Herrn für Steinböcke und Klippdachse, junge Löwen und Kaninchen, für Sonne, Mond und Sterne, den Schall des Donners und die Zedern des Libanon. Der Psalm ist sehr lang und wunderschön, findet Nelly, besonders auf Spanisch. Die Bibelstelle muss sie sich für Frau Schick merken.
»Nelly!«, mahnt Javier.
Vergebens. Nelly rührt sich nicht.
Der Mönch leitet zu einem kleinen Vortrag zur Ortsgeschichte über. Hier, in Rabanal, hat sein
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