Frau Schick räumt auf
Urteil vertraue.
Jetzt setzt er den Blinker, biegt in eine Nationalstraße ein und fährt wenig später auf ein Landsträßchen mit Muschelemblem. Nelly richtet sich im Beifahrersitz auf. Endlich! Der Jakobsweg. Sie kurbelt das Fenster herunter und atmet tief ein.
Der scharfe Geruch von Kuhdung nimmt ihr den Atem. Aber das macht ihr nichts. Wie hat Bettina gestern noch gesagt? »Mach Dünger aus jedem Mist, der dir entgegenschlägt.« Genau.
48.
Frau Schick bleibt im Bus. Die anderen schauen sich derweil unter Paolos Führung eine sehr alte Kirche in einem Ort namens Frómista an. Es ist eine harmonische dreischiffige Basilika mit drei Apsiden, das sieht man auch vom Bus aus. Die Fassade ist mit Rollfriesen und einem steinernen Tier- und Menschenzoo verziert – lauter absonderliche Konsol- und Kragfiguren, die Frau Schick selbst aus der Ferne begeistern. Überhaupt scheint San Martin ein echtes Juwel der Romanik zu sein. Schön schlicht. Ein Ort, der Raum für Fantasie lässt, statt sie zu erschlagen. Trotzdem. Diese ständigen Stopps sind Frau Schick lästig. Für so etwas hat sie jetzt keinen Blick.
Frau Schick interessieren weder die Brückenfundamente, Wasserteiler und Kanäle aus der Römerzeit, die sie hinter Castrojeriz bewundern sollte, noch die Staublandschaft und Felderwirtschaft der Meseta. Selbst die grüne Flussaue mit Pappeln, die aussah, als seien sie am Niederrhein, und in der sie eine mittelalterliche Brücke zu Fuß überqueren sollten, kann ihre Begeisterung für den Camino heute nicht wecken.
Sie packt ihr Handy aus und ruft noch einmal Herberger an.
Er geht nach dreimal Klingeln ran.
Frau Schick hört das Rauschen des Fahrtwindes und ein »Wuff« von Quijote. »Gibt es was Neues?«, will sie wissen.
»Ich habe mir Herrn Viabadel noch einmal vorgeknöpft. Er hat mir endlich einen vagen Tipp gegeben, wo sie sein könnten«, sagt Herberger.
»Wo?«
»Unterwegs. Wenn ich die beiden gefunden habe, rufe ich wieder an.«
»Sie dürfen ihm eine runterhauen, Herberger.«
»Wem? Herrn Viabadel?«
»Natürlich nicht! Ich meine Javier. Aber nicht zu fest, sonst bekommt Nelly nur Mitleid, und alles ist hin. Sie wissen ja, wie das mit der Liebe ist.«
»Ich werde niemandem eine runterhauen, Frau Schick. Buen camino .« Damit drückt er das Gespräch weg.
Hach, so ein Geheimniskrämer! Aber wenigstens ein cleverer, das muss Frau Schick ihm zugestehen. Es war immerhin Herbergers Idee, den Basken anzurufen, weil der sich ja in Burgos mit Javier über Geschäfte unterhalten hat.
Señor Viabadel hat sich ein wenig geziert, Auskunft über Javier Tosantos zu geben. Erst als Bettina in bedenklich wackligem Spanisch und mit wild tanzenden Augenbrauen auf ihn eingeredet hat, ist er weich geworden. Danach wussten sie mehr.
Javier ist Viabadels Patensohn, und die Viabadels sind – wie es bei Basken üblich ist – seit Jahrhunderten mit der Sippe der Tosantos befreundet und verfeindet, derzeit wohl eher Letzteres. Herr Viabadel hat recht unfreundliche Dinge über Javiers Papa zu sagen gehabt. Der soll ein Despot sein, der seinen Sohn zu seinem exakten Ebenbild umdrillen will. Bei ihrem Treffen in Burgos hat Herr Viabadel sich daher erbarmt und Javier Geld vorgestreckt, damit der auf eigene Füße kommt. Javier betreibt nämlich ein Projekt, das Viabadel nicht näher erläutern wollte und wohl auch nicht konnte.
Es scheint eine windige, zumindest eine wolkige Sache zu sein, denkt Frau Schick. Ihrer Meinung nach hat Nelly in Projekten von einem Möchtegernmaler und verwöhnten Erben nichts zu suchen. Und schon gar nicht in einer Sippschaft, der ein Tyrann vorsteht. Den schönen Javier hält sie weiterhin für ein faules Früchtchen. Künstler und Rebell auf Papas oder anderer Leute Kosten spielen, solche Hallodris hat sie gern. Die sind noch schlimmer als ihr Grüßaugust Pottkämper. Nein, das ist nichts für Nelly. Das ist ganz und gar nichts für Nelly.
Nachdenklich betrachtet Frau Schick Hopes buntes Häkelband an ihrem Handgelenk. Wäre doch zu schön, wenn das sie jetzt mit Nellys Energiefeld verknüpfen würde. Sie hätte da einiges zu übermitteln.
Sie kneift die Augen ganz fest zu, denkt an Nelly und versucht es mit einer alten Beschwörungsformel der Schemutat: »Teufelsdreck, nimm das Böse von uns weg, lass das Gute zu uns kommen, denn dann haben wir gewonnen.« Dazu hat die Schemutat immer ein übelriechendes Pulver, das nach Stinkbombe und verbranntem Horn stank, aus dem Küchenfenster
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