Frau Schick räumt auf
sitzen.‹«
Das klingt gar nicht so verkehrt, und Frau Schick fragt sich kurz, ob an ihr vielleicht doch eine Buddhistin verloren gegangen ist. Seit sie den Camino geht, sieht sie das nämlich ähnlich. Von der Schemutat weiß sie außerdem, dass Martin Luther der gleichen Meinung war. »›Man dient Gott auch durch Nichtstun, ja durch nichts mehr als durch Nichtstun.‹ Das sagte schon Martin Luther«, sagt sie. »Schon interessant, dass alle möglichen Religionen auf ähnliche Ideen kommen!«
Hildegard hält das alles für Unsinn und zweifelt die Richtigkeit des Lutherzitats an.
Ernst-Theodor ist überzeugt, dass Frau Schick korrekt zitiert hat.
»Das kann ich nicht glauben«, sagt Hildegard im Weggehen. »Und Ihnen, Frau Schick, schon gar nicht.« Sie hat zu ihrer alten Form zurückgefunden und übt sich in Verächtlichkeit gegen Kunst- und Kirchenbanausen, die bereits am Morgen und vor der Tageswanderung schlappmachen. Ernst-Theodor gibt ihr eilig recht, fängt sich zur Belohnung aber nur einen bösen Blick ein.
Martha hat Mitleid mit Paolo, der die Streithähne begleiten muss, und schließt sich der Besichtigungstruppe an. »Das ist dir doch recht, Hermann?«, fragt sie.
»Meine Liebe, wie kannst du fragen! Ich fühle mich heute ausgesprochen wohl und wach«, antwortet er.
Frau Schick bestellt »Filtro« für das Trio der Kulturschwänzer und bekommt ihn sogar.
Bimm! Bimm! Bimm!, schlägt es hektisch neun Uhr. Hermann macht für jedes Bimm einen Strich, dann beginnt er, die Spielfiguren in Bauerntracht zu zeichnen. Das macht er ganz hervorragend, staunt Frau Schick und sagt es ihm, als er fertig ist.
Hermann schenkt ihr das Bild.
»Ich nehm es nur mit Ihrer Unterschrift«, entgegnet Frau Schick.
Hermann unterzeichnet mit feinen Buchstaben. Frau Schick kneift die Augen zusammen und erkennt die Schrift sofort. Ach, so ist das!
Mit ein paar Fragen hat sie dann auch das Rätsel um die Knicker gelöst. Hermann ist ein Narr wie sie, wenn auch wider Willen. Nein, beschließt sie dann, im Herzen weiß der vergessliche Hermann immer noch sehr wohl, was er tut, es sitzt nicht erst seit Kurzem am rechten Fleck. Vielleicht sitzt er darum trotz allem so beeindruckend gelassen da und lächelt.
Sie erkundigt sich nach seiner Steinsammlung. Hermann will sie ihr am Abend zeigen. »Aber erinnern Sie mich bitte daran! Sie wissen schon.«
Ja, Frau Schick weiß und drückt ihm sacht die Hand. Er drückt zurück und seufzt. Eine Weile schauen sie versonnen den Straßenkehrmaschinen zu, die Wasser auf das Pflaster sprengen und flimmernde Regenbogen in die Luft zaubern. Es tut Frau Schick ein bisschen weh zu sehen, wie schön die Welt in jedem einzigen Augenblick sein kann. Wenn man nur hinschaut und noch hinschauen kann. Zum Glücklichsein braucht man Mut. In jeder Sekunde seines Lebens. Ja, so ist das, bis zum letzten Atemzug.
Jetzt aber Schluss mit der stillen Betrachtung, sie hat noch zu tun.
Frau Schick sucht nach ihrem Handy. Noch immer kein Anruf, auch keine SMS. Bettina hat ihr erklärt, was das ist, aber alle Nachrichten, die sie abrufen kann, stammen von Telefonanbietern. Auch so eine Unart, dass einen neuerdings völlig Unbekannte mit Nachrichten bombardieren! In ihrem Handy, das Herberger in Köln für sie ausgesucht hat, lauert sogar eine Frauenstimme, die sie ständig irgendeinen Blödsinn fragt und Sachen wie »Dienstmerkmale« und »Netboxen« anpreist. So was braucht sie doch gar nicht. Frau Schick will nicht einmal wissen, was das ist. Herrje, jetzt wird sie wieder grantig.
Kein Wunder, denn langsam wird sie wegen Nelly wirklich nervös, auch wenn sie dank Herbergers Schweigen gestern eine geruhsame Nacht verbracht und tüchtig ausgeschlafen hat.
»Ich geh mir eine Zeitung kaufen«, sagt sie schließlich. Vielleicht steht ja was drin, denkt sie kurz. Nein, das kann ja nicht sein. Nelly ist doch gerade erst verschwunden. Aber egal, sie hat jetzt Hummeln im Hintern, und an der Ecke des Platzes steht ein Zeitungskiosk.
Frau Schick lehnt Bettinas Angebot ab, sie zu begleiten, nimmt die Wanderstöcke und wählt den Weg unter den Arkaden entlang. Sie linst hier und dort in ein Lädchen und freut sich über eine Welt aus Marzipan und über die hausgemachte Schokolade, für die Astorga berühmt ist. Nicht dass sie Appetit auf süße Jakobsmuscheln oder Marzipanpilger hätte, aber Paulchen hätte an den Häuschen, Kirchen und Männchen Spaß gehabt, die die Zuckerbäcker von Astorga hier im Märklin-Stil
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