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Frau Schick räumt auf

Frau Schick räumt auf

Titel: Frau Schick räumt auf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellen Jacobi
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Niemandsland entdeckt hatte. In diesem privaten Refugio, einer Neugründung eines deutsch-belgischen Pärchens aus der Kettenhemdfraktion, hat sie ohnehin keinen Platz bekommen. Mit vier Gästen, die bereits schliefen, war die Hütte voll. Außerdem waren Hunde aus vorgeblich hygienischen Gründen unerwünscht. Als ob ihr Quichote in der Bruchbude noch etwas hätte verschmutzen können!
    Bei Tag ist die Hütte mit ihren Santiago-Wappenschildern, den nachgemachten Rüstungen, selbstgezogenen Kerzen und Lampions aus Pilgerkürbissen – alles handgemacht und ziemlich teuer – sicherlich ein pittoreskes Fotomotiv zum Thema alternative Wegelagerei. Die Aufnahmen sind nämlich nicht kostenfrei. Fünf Euro Zwangsspende verlangen diese Raubritter des Weges auf rotgepinselten Warnschildern für ein Foto. Für die Benutzung eines Chemieklos war der gleiche Betrag fällig. Was für ein Ort beispielloser Ungastlichkeit!
    Nicht einmal ein Taxi konnten diese seltsamen Menschen Nelly rufen, weil ihre bunt bemalte Bretterbude in einem Funkloch liegt. Angeblich. Vielleicht wollten sie aber auch nur hundertfünfzig Euro verdienen. Für diese Summe nämlich boten sie Nelly an, sie auf den rechten Weg zurückzuführen.
    Nachdem sie etwas Wasser von dem eigentlich kostenlos vorbeifließenden Bergquell gekauft hat, ist Nelly dann wieder aufgebrochen. Es musste sich doch etwas Besseres als diese Freaks finden lassen! Nach knapp zwei Kilometern Stolperei über einen Schotterpfad und durch die Finsternis war sie sich da nicht mehr so sicher. Sie wollte schon fast aufgeben, als sie durch Zweigwerk und im Licht des Mondes einen Parkplatz und eine asphaltierte Straße mit dem Zeichen des Jakobswegs entdeckt hat. Auf dem Parkplatz stand ein buntbemalter Camper mit belgischem Kennzeichen, der Werbung für » El paradiso – die etwas andere Herberge« machte. Der Camper war in erstaunlich gutem Zustand, von der Bemalung abgesehen. Wahrscheinlich vermieteten die Camper ihren Schlafplatz immer dann, wenn Freunde des Paradieses nach einem Schlafplatz fragten. Auch eine Art, sich ausgedehnte Sommerferien zu finanzieren.
    Da im Wohnwagen kein Licht mehr brannte, ist Nelly die Straße mit dem Muschelzeichen dann weitergelaufen – bis sie den Ort entdeckte, an dem sie spontan bleiben wollte. Unbedingt. Im Mondlicht und auf einem Hügel aus Geröll erhob sich vor ihr nämlich in majestätischer Einsamkeit das Cruz de ferro , das berühmte Eisenkreuz. Schön war es eigentlich nicht, lediglich ein sehr hoher blankgeschälter Eichenstamm, auf dem ganz oben ein unscheinbares kleines Eisenkreuz angebracht ist. Dafür hatte Nelly es ganz allein für sich.
    Am Stamm baumelten ausgemusterte Wandersocken, bunte Tücher und eine Menge Kram und Tinnef aus Pilgerrucksäcken, aber auch tief Anrührendes, wie Nelly bei näherem Hinsehen und im Schein ihrer Taschenlampe feststellen konnte: Bilder von und Briefe an Verstorbene, krumme Gedichte, kleine Gebete, Segenswünsche, Dank für und Bitten um Genesung.
    Quijote ist so wild hinter Nelly den Geröllhügel hochgetollt, dass die Steine spritzten. Als er das Bein heben wollte, hat Nelly ihn scharf zurückgepfiffen und in ein Waldstück gejagt. Während der Hund dann seine Pinkelpause einlegte, hat sie still beim Kreuz gestanden. Sie hat kurz überlegt, ihren Opal hier zu lassen. » Omnia vincit amor – Alles besiegt die Liebe.« Daran glaubt sie nicht mehr, wirklich nicht.
    Aber Hermanns Opal war zu schön, um unter diesem Sockenmast zu bleiben, und Nelly ist auch nichts eingefallen, was sie sich wünschen oder welche Sorge sie hier abwerfen könnte. Natürlich gäbe es da Tausenderlei, aber alles schien ihr verglichen mit dem, was sie auf dem Camino hinter sich gebracht hatte und was andere zu schultern haben, zu gering zu sein.
    Am Ende hat sie dem Geröllhaufen ein Steinchen für Beckys Wohlergehen zugesteckt, das sich auf den letzten Metern zum Kreuz in ihren Wanderschuh verirrt hatte. Und damit war sie auf einen Schlag zumindest die Sorge los, worüber sie sich sorgen könnte. Ein wenig beschämt hat sie sich gefühlt, weil sie ihre Tochter über all den dummen Kummer mit der Liebe und Javier eine Weile schlicht vergessen hatte. Aber dann ist ihr ein Satz von Ricarda eingefallen. Einer, der ihr wehgetan hat, den sie aber mit einem Mal erleichternd fand: »Gib deiner Tochter endlich das Gefühl, nicht die einzig wahre Liebe und Hauptaufgabe in deinem Leben zu sein. Die Hauptaufgabe deines Lebens bist du selbst,

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