Frau Schick räumt auf
fabrizieren. Eine kleine heile Welt.
Sie quert den Platz und studiert die Zeitungen und bunten Blätter, die der Kioskbesitzer mit Wäscheklammern an ein Gestell geheftet hat. Wie immer scheint in der Welt ordentlich was los zu sein. Vorwiegend Schlechtes. Es ist zur Abwechslung einmal ganz schön, kein Wort davon zu verstehen, der Rummel holt sie in Deutschland schnell genug wieder ein.
Es gibt aber auch englische Magazine, sogar einige deutsche, und die sind ganz frisch. Erst zwei Tage alt. Allerdings gibt es nur die bunten Blätter und Zeitungen mit den ganz großen Buchstaben. Ein besonders buntes Blatt lässt ihr den Atem stocken. Ein selten schöner Mann ist darauf abgebildet; er hat etwas von Horst Buchholz in jungen Jahren, als er die Rolle des Hochstaplers Felix Krull gespielt hat. Hochstapler? Wie kommt sie darauf? Herrje. Darauf kommt sie, weil neben ihm eine ganz junge Nelly steht. Im Abendkleid und mit hochgestecktem Haar.
Nelly?
Das kann doch nicht sein!
Frau Schick lässt sich vom Kioskverkäufer helfen, den Rucksack abzunehmen. Sie kramt ihre Brille heraus, setzt sie auf und nimmt das bunte Blatt von der Klammer und in Augenschein.
Ha, jetzt hat sie es! Das junge Ding ist natürlich nicht Nelly. Das muss ihre Tochter sein. Wie hieß die gleich? Becky. Becky und ihr Herr Papa, der Schauspieler und Hollywoodstar, den nur in Deutschland jeder kennt. Nelly hat ihr seine und ihre Geschichte in groben Zügen erzählt. Um ihren Exmann scheint es derzeit ein wenig Aufregung zu geben. Das verrät die Schlagzeile zum Titelbild. »Filmgala: Wirbel um Traumschiffstar Jörg Barfelder – warum ohrfeigt ihn die Tochter?«
Na so was! Frau Schick lächelt. Also wirklich. Lieber Himmel, das gibt es doch gar nicht! Zwei Ohrfeigen in so kurzem Abstand – eine von der Frau Mama und eine von der Tochter, nur an verschiedene Männer. Nun ja, vielleicht nicht ganz so verschieden. Dieser Jörg scheint ebenfalls vom Stamm der Schönlinge und Herzschurken zu sein. Für diese Spezies hat Nelly eine Schwäche. HATTE, freut sich Frau Schick in Großbuchstaben, die auf keiner Zeitungsseite Platz fänden.
Ach ja, die Wege des Herrn sind wirklich unergründlich. Sie wird ihm in der nächsten Kirche mal zwei Kerzchen anzünden. Zur Feier des Tages. Aber erst wird sie den Artikel lesen und herausfinden, warum Nellys Tochter zugeschlagen hat.
Sie zeigt die Zeitung dem Verkäufer, zahlt und geht. Neben ihr bremst quietschend ein Radfahrer ab. »Sorry«, sagt er und murmelt eine wortreiche Entschuldigung. Wenn das jetzt John aus Manchester ist, dann schlägt es aber dreizehn. Es ist natürlich nicht John aus Manchester. Nein, so viele Zufälle gibt es nun doch wieder nicht.
Wenig später lässt Frau Schick sich auf ihren Stuhl zurückplumpsen und die Illustrierte schnell im Rucksack verschwinden. Vorerst soll niemand wissen, was sie gerade erfahren hat. Arme Nelly. Arme, arme Nelly. Der bleibt aber auch nichts erspart. Und wie man aus diesem Mist Dünger machen soll, ist Frau Schick unklar. Noch. Erst einmal muss sie jetzt ganz dringend telefonieren, und zwar mit dem Grüßaugust. Den hatte sie gerade so schön und komplett vergessen, aber wenn es um Nelly geht, darf sie jetzt nicht zimperlich sein.
Sie setzt die Brille auf, nimmt ihr Handy und erhebt sich.
»Aber Frau Schick, jetzt bleiben Sie doch einfach mal sitzen«, bittet Bettina. »Denken Sie an Martin Luther.«
»Geht nicht, ich muss telefonieren.«
»Das können Sie doch auch hier.«
»Nein, kann ich nicht, die Sonne blendet, und mit diesem blöden Handy kann man offensichtlich nur im Dunkeln telefonieren. Das Fensterchen mit den Nummernbildchen spiegelt das Licht ja wie blöde.«
Dagegen kann Bettina nichts sagen, sie hat sich selbst schon darüber geärgert. Also zieht sich Frau Schick in den hintersten Winkel des Arkadenganges zurück und gibt sorgfältig eine lange Zahlenreihe ein. Der Grüßaugust ist sofort dran. Der hofft wahrscheinlich, dass ihm jemand endlich seine Beförderung mitteilt. Da kann er lange warten, denkt Frau Schick grimmig und gibt ihm stattdessen kurze und klare Anweisungen im Dalli-Dalli-Ton.
Es dauert trotzdem ein bisschen, bis der Dummbatz weiß, was Gurgeln im Internet ist. Nelly hat das in Viana sofort begriffen. Am Ende weiß es Pottkämper auch, und Frau Schick wartet, bis er die Wortkombination »Jörg Barfelder Tochter verschwunden« eingegeben hat. Pottkämper macht es spannender als die Ziehung der Lottozahlen, bevor er
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