Frau Schick räumt auf
bekannt gibt, was er an neuen Nachrichten über das Thema gefunden hat.
Es gibt nicht viele. Offenbar hat der geschlagene Vater die Ohrfeige genutzt, um Klatschreportern Interviews über sein unfassbares Leiden, seine Sorgen und Ängste um seine geliebte Tochter zu geben. Über den Grund für die Ohrfeige schweigt Papa Barfelder sich aus. Er deutet lediglich an, dass die lange unfreiwillige Trennung von ihm, dem Vater, und das Leben bei der Mutter sein Kind seelisch aus dem Gleichgewicht gebracht hätten, weshalb Becky sozusagen in seine Arme zurückgeflüchtet sei. Dann kommt er noch auf seine neue Show zu sprechen, in der es um Schicksale von Scheidungskindern gehen soll. Die will er vor laufender Kamera mit ihren Eltern versöhnen. Geplanter Sendetitel: »Der Kinderanwalt«. Und damit es echt wirkt und von Anfang an zu Herzen geht, war Becky als erstes Beispiel eingeplant.
Feines Früchtchen, der Herr Papa! Dafür hat er direkt noch eine Backpfeife verdient, denkt Frau Schick. Dann hält sie Pottkämper an, weitere Berichte vorzulesen.
In einem etwas seriöseren Blatt wird vermerkt, dass es keinerlei Anzeichen für eine Entführung oder ein Verbrechen gibt, mit denen Papa Barfelder sich andernorts interessant gemacht hat. Vielmehr sei anzunehmen, dass es sich bei Becky um einen von vielen Ausreißern im Teenie-Alter handelt, die nach Familienstreitigkeiten vorübergehend abtauchen.
Das ist immer noch genug Grund zur Sorge, findet Frau Schick. Immerhin ist Becky nunmehr seit vier Tagen unauffindbar.
Pottkämper fragt, wie es ihr geht und warum sie das alles eigentlich wissen wolle.
»Weil ich Herrn Barfelder sehr verehre«, lügt Frau Schick. »Ein ganz großartiger Schauspieler.« Ja, der kann lügen wie gedruckt und ohne rot zu werden.
Bevor Pottkämper weiterfragen kann, meldet das Handy sich ab. Nanu, hat das einen Stromausfall? Sie geht zurück zur Café-Terrasse und hält das Handy anklagend Bettina entgegen.
»Sie müssen die Akkus neu laden«, stellt die mit einem Blick fest. »Haben Sie Herberger wenigstens erreicht?«
»Nein.«
Ärgerlicherweise kann der sie jetzt auch nicht mehr erreichen. Bettina bietet zwar ihr Handy an, um Herberger anzurufen, aber das nützt Frau Schick nichts, denn für Herbergers Nummer hat sie nun wirklich keinen Platz im Kopf. Vielleicht ist das ja auch ganz gut so, überlegt sie. So bleibt Nelly noch ein bisschen Zeit, bevor sie ihr die ziemlich beunruhigende Nachricht mitteilen muss. Eine Nachricht, für die der liebe Gott – falls es ihn gibt – kein Kerzchen verdient hat.
Oder doch? Vielleicht war Beckys Ohrfeige ja auch ein Befreiungsschlag? Und damit ein Segen.
Frau Schick weiß es nicht. Sie weiß nur eins: Sie will jetzt wieder auf den Weg. Ultreia, und möglichst nicht im Gänsemarsch.
Die besten Ideen, das steht fest, hat sie im Gehen.
53.
Nelly erwacht fröstelnd. Nur noch ein Viertelstündchen, denkt sie und will nach dem Wecker tasten. In ihren Träumen ist sie heute Nacht nämlich nach Düsseldorf zurückgekehrt. In den Schutz ihres Schlafzimmers. Da hat sie Unterwäsche aussortiert und lebende Schmetterlinge aus Dessous befreit, und Becky hat sie eingefangen. Becky war vier Jahre alt und sehr niedlich.
So ein Quatsch, sie ist ja gar nicht daheim. Sie ist auf dem Jakobsweg, und ihr Kopf liegt nicht auf einem Kissen, sondern auf einem Hund, der schnarcht. Der macht es richtig. Am besten bleibt sie noch liegen, bis sie wirklich wach ist und Träume von Wirklichkeit unterscheiden kann. Gleich wird sie wieder stramm losmarschieren müssen, und die Sonne ist auch noch nicht richtig draußen. Sie zieht sich die Decke über den Kopf.
Decke?
Moment mal! Wo kommt die denn her? Gestern hatte sie noch keine. Mit einem Schlag ist Nelly hellwach, setzt sich auf und schaut an sich hinab. Oh doch, sie hat eine Decke. Einen Daunenschlafsack, den irgendwer über sie gelegt haben muss. Neben ihr stehen außerdem eine Wasserflasche und eine Tüte mit frischen Bocadillos und Pfirsichen.
Wer macht denn so was? Nelly schüttelt den Kopf, um aus diesem Traum zu erwachen. Erfolglos. Sie träumt nämlich nicht. Ratlos schaut sie sich um. Noch immer keiner da, außer ihr und Quijote.
Sie hat sich gestern lange nach Einbruch der Dunkelheit und nach vergeblicher Suche nach Quijotes Begleiter hinter dieser Steinkirche niedergelassen. Das war immer noch besser als das behelfsmäßige Refugio, das sie auf ihrem bedauerlich langen Umweg zurück zum Camino irgendwo im
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