Frau Schick räumt auf
lobt Hermann.
Martha muss kurz nachdenken, dann fallen ihr die Verse wieder ein:
Ich komm’,
ich weiß nicht woher,
Ich bin,
ich weiß nicht wer,
Ich sterb’,
ich weiß nicht wann.
Ich geh’,
ich weiß nicht wohin,
Mich …
»… wundert, dass ich so fröhlich bin«, vollendet Hermann gefühlvoll.
Frau Schick nickt zufrieden. »Ja, das passt wirklich. Auch zu meinen Plänen für heute Abend.« Martha lächelt. »Was haben Sie denn Schönes vor?«
»Ich gebe ein Fest.«
»Ein Fest?«
»Ja, mit Musik und Tanz. Wir müssen Nellys Rückkehr gebührend feiern! Herberger hat mir kurz hinter Astorga über Paolos Handy Bescheid gegeben. Er hat sie gefunden und wandert wohl noch ein bisschen mit ihr durch die Gegend.«
Das findet Frau Schick wirklich ganz ausgezeichnet. Die beiden sollen sich mal einen schönen Wandertag machen, der erste gemeinsame Betriebsausflug in ihrem Auftrag ist ja danebengegangen, aber das muss nichts heißen. Diesmal ist immerhin der Herr Herberger selbst auf die Idee gekommen. Freiwillig und sicher nicht nur, um seine Chefin zu ärgern. Nein, nein, der will sich wirklich um Nelly kümmern. Er hat das sogar richtig durchgeplant und den Wagen in der Nacht extra weit vorausgefahren, damit sie eine tüchtige Strecke vor sich haben, bis sie ihn wieder erreichen.
Hoffentlich weiß er, wie das geht – um Nelly zu trösten, dazu braucht es Feingefühl –, und hoffentlich ist die Gegend, die er gewählt hat, so einladend sanft wie die Hügellandschaft hier hinter Astorga. Nein, sanft wird Herbergers Strecke wohl eher nicht sein.
Frau Schicks Augen suchen den Horizont ab und finden hohe Berge, deren Gipfel im Himmel verschwimmen. Paolos Gruppe wird sie mit dem Bus überwinden und auf dem Gipfel einen Zwischenstopp am Sorgenkreuz machen. Den hat Nelly bereits hinter sich. Sie hat sogar darunter geschlafen. Ganz schön tapfer.
Ach herrje, ab morgen muss sie noch viel tapferer sein. Gut, dass heute Nacht Quijote bei ihr war. Und Nelly bei Quijote. Das schwarze Kalb ist ja ungern allein, und was Katzenduelle und die Kaninchenjagd angeht, ist er zwar tollkühn, aber selten erfolgreich. Immerhin sieht er bedrohlich aus, und wenn er mal knurrt, dann richtig. Dafür muss es allerdings sehr dicke kommen. Da schlägt er wahrscheinlich seinem Besitzer, dem Basken, nach. Der lässt seine Brauen auch lieber tanzen, anstatt sie zu runzeln.
Tja, das kennt sie von Pöhlwitz: Die größten und stärksten Hunde sind meist die friedfertigsten, solange man sie einfach laufen lässt und ab und an tüchtig lobt. Mit Männern ist das eigentlich nicht anders, überlegt Frau Schick. Echte Leitwölfe kläffen nicht dumm rum und kämpfen nur, wenn es sich nicht vermeiden lässt.
Aber zurück zu Herberger. Hoffentlich kann er Nelly nach ihrer Nacht in den Bergen auch etwas so Schönes zeigen wie das Dorf der Fuhrknechte, das sie hinter Astorga mit Paolo besucht haben: Polvazarez. Den Namen hat sie sich gemerkt, weil dort die Zeit vollkommen stehengeblieben ist, mal wieder im späten Mittelalter. Dennoch hat das Dorf kein bisschen finster gewirkt, sondern sehr beschaulich und heiter, weil seine früheren Bewohner wohl immer genug zu beißen hatten und ein ganz eigener Schlag Mensch waren, der sich aus Kriegen rausgehalten und sich auf das seit eh und je profitable Transportwesen beschränkt hat. Weil sie große Wagen hatten, auf denen die Familie, viel Mobiliar und reichlich Kichererbsen Platz fanden, konnten sie sich bei Gefahr immer rasch aus dem Staub machen.
Außerdem, so hat Paolo erzählt, waren diese Fuhrunternehmer clever genug, sich hier und da mal ein paar Waffen von einem Transportauftrag abzuzweigen, um sich im Notfall gegen Räuber, Banditen und feindliche Söldner zu wehren. So was gab es also auch im Mittelalter: Schlitzohren, die sich weigerten, in fremder Leute Kriegen mitzumischen. Sehr beruhigend so etwas.
»Ah, da vorne wartet ja schon der Bus«, sagt Frau Schick erleichtert und geht einen Schritt schneller. »Und da ist auch Paolo.« Den nimmt sie wenig später beiseite, um mit ihm einige Fragen wegen ihres Festes zu klären. Der Wanderführer ist einverstanden. Ihr Hostal in Molinaseca, sagt er, eigne sich ganz hervorragend für ein Fest, weil es über einen großen Barraum verfüge, in dem ohnehin ein langer Tisch und gutes Essen auf sie warte. Ein Fest bietet sich außerdem an, weil sie die Hälfte des Weges hinter sich und den camino duro – den harten Weg über den Cebreiro-Pass nach
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