Frau Schick räumt auf
klargestellt, dass sie von ihm nun wirklich nichts will. Was muss er nur von ihr denken? Sein merkwürdig deplatziertes Geständnis, dass er selbst ein Mistkerl ist, war ein Satz wie ein Messerstich. Und dieses Bäumchen-wechsle-dich-Gerede. Einfach unglaublich. Und verletzend. Sieht sie etwa so bedürftig aus oder so männertoll? Und das ausgerechnet nach dem gestrigen Tag und ihrem handfesten Abschied von Javier? Wollte er sie hochnehmen oder unverbindlich testen, ob sie endgültig von Javier kuriert ist? Sie weiß es nicht. Herberger ist das verwirrendste Mannsbild, das ihr je untergekommen ist. Eins steht jedenfalls fest: Das gemeinsame Nickerchen unter dem Olivenbaum hätte sie sich und ihm ersparen sollen. Wenn der nur wüsste, wie männerabstinent sie leben kann. Jahrelang. Und will. Wenn nötig, für immer.
Nein, Nelly ist an Herberger als Mann nicht interessiert. Sie hatte nur gerade begonnen, ihn gern zu haben. Das hatte ihr ein wenig Hoffnung gemacht, dass sie irgendwann einmal Männer wie Fellmann, an den Herbergers unverhoffte Freundlichkeit sie erinnert hat, anziehend finden könnte. Mehr nicht.
Herrje, sie wollte Herberger wirklich nur als Weggefährten, nicht fürs Leben, sondern nur für ein paar Stunden, weil er sie in Ruhe gelassen und keine Fragen gestellt hat. Und dann macht er alles mit einer anzüglichen Andeutung kaputt. Er hat recht: Er ist wirklich ein Mistkerl. Ein ehrlicher Mistkerl, aber das macht die Sache nicht besser. Für wen oder was hält der sie nur?
Über diese Frage hat Nelly nachgegrübelt, bis ihr ein Pilgertrio in den Rücken gestolpert ist, ein bayerisches, das sie gern in ihre Mitte genommen hätte. Es waren die Taxipilger aus Bilbao, die anscheinend immer noch Caminohopping betreiben, denn nur zu Fuß können sie es von Pamplona bis hierher in so kurzer Zeit nun wirklich nicht geschafft haben. Die Werbung für kostenlose Fußmassagen klebte immer noch an einem ihrer Rucksäcke.
Nelly hat die Begleitung dankend abgelehnt und behauptet, sie warte auf einen Freund. Der erschien dann auch – in Gestalt des munter bellenden Quijote. Das Pilgertrio hat spontan Gas gegeben und ist nach links abgebogen, womit es einen Umweg in Kauf genommen hat, wie Nelly dank Quijote rasch herausfand. Der hat sein Bein nämlich an einer von Unkraut überwucherten Wegmarkierung gehoben und sie damit auf einen Richtungspfeil hingewiesen. Der zeigte nach rechts.
Einen Moment lang hat Nelly sich diebisch über das Pech der Bayern gefreut, geradezu saupreußisch gefreut. Einen winzigen Moment. Dann ist sie ihnen nachgelaufen, um ihnen zu sagen, dass sie auf dem Holzweg sind. Wenigstens mit der Nächstenliebe kann sie nicht viel falsch machen, hat sie sich gesagt.
»Sacklzement, schoa wieda«, hat einer der Bayern geflucht und erzählt, dass sie bereits gestern auf Abwege geraten sind und in einer Abzocker-Herberge von einem Pärchen in Ritterkostümen nächtigen mussten, wo selbst dass Quellwasser berechnet wurde.
Damit waren sie nun wirklich genug gestraft, fand Nelly, die sofort ahnte, wer die geldgierigen Herbergseltern waren. Deshalb hat sie die Bayern nicht nur auf den rechten Weg zurückgeführt, sondern hat sie auch eine Weile begleitet. Sie haben viel gelacht. Über ihre Erlebnisse mit der Kettenhemdfraktion und ihre Dummheit.
So unerträglich wie vermutet waren die Hallodripilger nicht, und in einer winzigen Bar in einem winzigen Dorf haben sie sich dann herzlich voneinander verabschiedet. Die Bayern brauchten eine Brotzeit mit Bier, und Nelly wollte weiter. Die Bayern haben ihr noch einmal ausführlich gedankt und sie für ihren Mut bewundert, den Weg allein zu gehen.
»Nur in Abschnitten«, hat Nelly gestanden.
Tapfer sei sie trotzdem, fanden die Bayern, das merke man schon daran, wie sie den Höllenhund zu bändigen wisse. Gemeint war damit natürlich Quijote, den sie mit einem sehr scharfen »Aus« von einem der Bayern-Rucksäcke loseisen musste. In dem Rucksack wohnten nämlich Bocadillos mit Serrano-Schinken und Käse.
Kurz nachdem sie sich wieder auf die Strecke begeben hat, entdeckt Nelly zu ihrer Freude den ersten Wegweiser mit dem Ortsnamen Molinaseca.
Es geht noch einmal steil bergab, hinunter auf eine Straße, an einer Mauer, einem Abgrund und einem gurgelnden Flüsschen entlang, in dem Quijote ein Bad nimmt. Von dort sind es bis zu dem Dörfchen Molinaseca, das Nelly mit pastellfarbenen Häusern begrüßt, nur noch ein paar Hundert Meter. Der Jakobsweg führt über
Weitere Kostenlose Bücher