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Frau Schick räumt auf

Frau Schick räumt auf

Titel: Frau Schick räumt auf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellen Jacobi
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wieder in reizender Pflege.«
    »In weiblicher?« Nelly staunt, wie nüchtern sie klingt und ist. So also hat Javier sich sein Wurpswede gedacht. Aber ein Wunder ist es nicht wirklich.
    »Scheißkerle wie der haben immer einige Eisen im Feuer und halten sich gern alte Flammen warm, wenn sie sich an was Neuem die Finger verbrannt haben«, sagt Herberger. »In der Umgebung von Foncebadón scheint Javier kein Unbekannter zu sein. Sämtliche Freaks und selbsternannten Retter des wahren Weges kennen ihn, vor allem die weiblichen. Von der Magie und dem Sinn dieses Weges scheint er hingegen nur wenig mitbekommen zu haben. Aber so ist es nun mal: Man kann beides nicht einfangen und für teures Geld verkaufen, auch wenn das seit Jahrhunderten versucht wird. Der Camino wächst nur im Gehen unter den eigenen Füßen.«
    Nelly nickt, aber erst als Herberger kurz wegschaut; schließlich ist sie Javier gehorsam wie ein Schaf gefolgt, um sein Paradies in Augenschein zu nehmen. Gestern Nacht hat sie vor dem Cruz de ferro etwas ganz Ähnliches gedacht. Nur gut, dass sie rechtzeitig aus ihren, besser: Javiers Träumen aufgewacht ist.
    Herberger hat unterdessen ein Taschentuch hervorgeholt und es mit einer Desinfektionslösung getränkt. Er greift nach Nellys Wade, schiebt ihre Jeans hoch und begutachtet eingehend die Dornenschrammen.
    Nelly versucht, ihr Bein wegzuziehen. Herberger hält es mit eisernem Griff fest. »Das muss ziemlich wehgetan haben«, sagt er und schaut ihr forschend ins Gesicht.
    Nelly wendet den Blick ab. Die Frage und die Berührung sind ihr zu vertraulich. Herbergers Hände brennen auf ihrer Haut, weit heftiger als das Desinfektionsmittel, mit dem er vorsichtig – fast hingebungsvoll – beginnt, ihre Wunden zu betupfen. »Au«, schimpft Nelly und hofft, dass er sich beeilt, weil seine zupackenden Hände sie schmerzlich daran erinnern, wie lange sie niemand so hingebungsvoll betrachtet und so fürsorglich angefasst hat. Ach nein, demnächst wird sie sich wohl in einem Zahnarztstuhl dafür schämen oder – schlimmer noch – darüber freuen, dass ein x-beliebiger Mann sich ihrem Körper und Wohlbefinden widmet. Mit Zange und Bohrer.
    »Halten Sie still«, befiehlt Herberger. Er tränkt ein weiteres Taschentuch und wischt dann ihre Wangen sauber. Er scheint in so etwas Übung zu haben. Seine Handgriffe sind sehr sachkundig. Genau, sachkundig. Von wegen Hingabe! Er ist einfach geübt darin, Schrammen zu verarzten.
    »Das dürfte fürs Erste genügen«, beendet Herberger die Inspektion ihrer Waden. »Kommen Sie?«
    Nelly schiebt erleichtert ihre Jeans zurecht, packt ihren Rucksack und steht auf. Herberger rollt gekonnt den Schlafsack ein. Auch das kann er sehr gut. In weniger als drei Minuten steckt der Schlafsack passgenau wieder in seinem Nylonbeutel. Kunststück, denkt Nelly, der Kerl ist schließlich Reisejournalist.
    »Vor uns liegt ein besonders schöner und unzerstörter Wegabschnitt«, sagt Herberger schließlich. »Die anderen dürften jetzt noch in Astorga, also etwa dreißig Kilometer hinter uns, sein. Wir treffen sie heute Abend in Molinaseca. Ist Ihnen das recht?«
    Ja, das ist Nelly sehr recht, nur die verdammte Höflichkeit dieses Mannes geht ihr langsam auf den Wecker. Die kann doch nicht echt sein.
    Nein, Nelly, nein, mahnt sie sich selbst, bleib bei der Wahrheit! Herbergers Freundlichkeit ist echt und stört sie nur beim Männerhassen. Es ist auch nicht Herbergers Höflichkeit, ja Ritterlichkeit, die sie nervt, sondern seine Sachlichkeit. Und sein souveränes Schweigen.
    Er bricht es die nächsten acht Kilometer kein einziges Mal, außer um sie auf Toilette zu schicken und kurz mit Frau Schick zu telefonieren. Danach trinken sie schweigend einen Kaffee. Nelly muss an ihren letzten, so viel glücklicheren Schweigemarsch mit Paolo denken. Wie leicht ihr damals das Leben erschien; sie wähnte sich von jeglichem Liebeswahn kuriert und auf einer Reise ins Glück, auf dem Weg zu neuen Ufern. Die Frösche und Zikaden hat sie für magische Omen gehalten, die ihr einen Neuanfang verkündeten. Was folgte, war der nächste Absturz. Nein, etwas viel Schlimmeres: die Erkenntnis, dass Liebe sich in ihrem Fall wohl lebenslang auf schöne Hirngespinste und hormonelle Aussetzer beschränken wird und sie eben darum Hochstapler magisch anzieht. Und das ist noch bei Weitem zu freundlich gedacht. Schließlich gab es in ihrem Leben auch ehrliche Häute wie Ferdinand Fellmann, den sie um sich hat kreisen lassen, ohne

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