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Frau Schick räumt auf

Frau Schick räumt auf

Titel: Frau Schick räumt auf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellen Jacobi
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ein Bogenbrückchen direkt ins Dorf und auf den weitläufigen Gebäudetrakt einer alten Wassermühle zu.
    Nelly verlangsamt ihre Schritte, um ihre Ankunft in dem wunderhübschen Dorf Schritt für Schritt auszukosten. Sie läuft langsam bis zur Mitte der Brücke, bestaunt die Mühlengebäude, schaut auf den Fluss, entdeckt ein träge dahingleitendes Schwanenpaar und am Ufer Kinder, die Enten füttern. Wie idyllisch. Zum Verlieben schön! Ja, man darf und muss und kann den Jakobsweg auch einfach mal genießen.
    »Sie haben lange genug herumgetrödelt, das ziehe ich Ihnen vom Lohn ab.«
    Nelly wirbelt herum.
    »Frau Schick! Ich bin so froh, Sie wiederzusehen.« Sie will die alte Dame in die Arme schließen.
    Frau Schick nutzt einen Wanderstock als Schranke und hält Nelly auf Abstand. »Lassen Sie das«, sagt sie grob. »Ich bin keine Chefin zum Umarmen. Und wir haben heute noch zu tun.«
    »Wo ist unser Hotel?« Nelly übergeht die Androhung von Arbeit. Nach Bibelübersetzungen ist ihr jetzt wirklich nicht zumute. Sie braucht eine Dusche.
    »Sie gucken direkt drauf.« Frau Schick zeigt auf die Wassermühle. »Die Müller von Molinaseca müssen einmal sehr reiche Leute gewesen sein. Das Wohnhaus hat riesige Zimmer. Ich habe für Sie eins mit Blick zum Fluss reserviert. Die Bäder sind wundervoll, jedes einzelne so groß wie eine ganze Pilgerherberge.«
    »Klingt wunderbar, ich freu mich auf eine heiße Dusche«, sagt Nelly.
    »Später. Zuerst müssen wir Ihnen neue Schuhe kaufen.«
    »Schuhe? Ich habe doch welche.«
    »Ich spreche nicht von Wanderschuhen.«
    Nelly wundert sich. Was soll das Ganze, und warum ist Frau Schick nur so schlecht gelaunt? »Neue Sandalen besitze ich dank Ihnen doch auch. Sehr hübsche Sandalen, und in meinem Gepäck habe ich Slipper und Turnschuhe.«
    »In Sandalen oder Turnschuhen schlappen Sie mir nicht übers Tanzparkett. Da brauchen Sie was mit Absatz.«
    Nelly fühlt Erschöpfung in sich aufsteigen, tiefe Erschöpfung. Ihre letzten Schuhe mit Absatz und in Tanzschuhoptik hat sie in Pamplona im Hotelpapierkorb entsorgt. Sturzbetrunken. Und das war richtig so. »Frau Schick, warum sollte ich hier um Gottes willen Tanzschuhe brauchen?«, fragt sie leise.
    »Weil wir alle heute ein Fest feiern.«
    »Ich nicht.«
    »Oh doch, schließlich feiern wir Ihre Rückkehr.«
    »Geht das nicht auch bei einem Glas Wein?«
    »Nein! Leider gibt es in diesem Dorf natürlich keine richtigen Schuhläden, aber Bettina und ich haben uns durchgefragt und ein reizendes Lebensmittel- und Souvenirgeschäft gefunden, dessen Besitzer mit einer Andalusierin verheiratet ist, die früher mal bei einer Flamencotruppe mitgemacht hat. Sie hat genau Ihre Schuhgröße! Vielleicht …«
    Nelly kann nicht widerstehen und unterbricht ihre Chefin. »Wie haben Sie das alles ohne Spanischkenntnisse herausgefunden?«
    »Das war ein Kinderspiel! Bettina hat auf ihre Füße gezeigt und die Schuhe ausgezogen. Der Händler hat ihr erst Blasenpflaster und dann ein Paar scheußliche Flipflops angeboten. Wir haben den Kopf geschüttelt und ein bisschen getanzt. Bettina kann das erstaunlich gut. Ich musste nur noch Fiesta Mexicana singen, und ab da war fast alles klar. Der Händler hat ein paar Kastagnetten aus einer Schublade gekramt, und dann kam seine Frau, die natürlich sofort begriffen hat, worum es ging.«
    Nelly schwirrt der Kopf, aber eins hat sie verstanden: An der Party führt kein Weg vorbei.
    Frau Schick zieht sie über die Brücke ins Dorf und plaudert munter weiter. »Vielleicht können wir unserer Flamencotänzerin sogar ein Kleid abschwatzen!«
    »Frau Schick, ich hasse Flamenco.«
    »Ich auch. Und die Fummel, die man dabei trägt, erst recht. Aber sagen Sie ihr das ja nicht! Die Dame hat außerdem etwas viel Besseres. Sie scheint sich ihre Verbannung in die Pampa mit gelegentlichen Shoppingeskapaden in León zu versüßen, und zwar nicht mit Flamencokleidern.«
    »Frau Schick, ich bin nicht Ihre Anziehpuppe«, protestiert Nelly. Alles kann sie sich ja nun doch nicht gefallen lassen.
    »Aber meine Angestellte! Die Schick und von Todden GmbH legt Wert auf Mitarbeiter, die dem Anlass entsprechend gekleidet sind. Wo zum Kuckuck steckt eigentlich Herberger?«
    Nelly zuckt mit den Schultern. »Keine Ahnung, er ist in El Acebo ins Auto gestiegen.«
    »Und wo ist er hin?«
    »Hat er mir nicht gesagt.«
    Erstaunlicherweise scheint Frau Schick über diese Nachricht gar nicht so unglücklich zu sein. Sehr merkwürdig, denkt Nelly.

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