Frau Schick räumt auf
›aufrichtig und ehrlich‹ übersetzen«, wirft Ernst-Theodor ein.
»Pah!«, macht Hildegard.
»Das passt wirklich hervorragend zu dem Sternsaphir«, lobt Bettina eilig und murmelt etwas von Wahrheitsliebe und Mut zu Treue und Verbindlichkeit. Sie klingt verdächtig wie eine Wahrsagerin vom Rummelplatz.
Hermann hört lächelnd zu und entgegnet etwas über die außergewöhnlich klare Farbe, die Qualität, den Härtegrad und die Lichtbrechungen des Steins. Fakten sind dem gelernten Uhrmacher ganz offensichtlich lieber als Bettinas verstiegener Firlefanz.
Frau Schick kann das gut nachvollziehen. Sie will dennoch wissen, was Bettina damit meint, dass ein Stein, der Wahrheitsliebe, Treue und Verbindlichkeit fördert, hervorragend zu Herberger passe. Schließlich kennt sie Bettina inzwischen zur Genüge und weiß, dass sie Hintergedanken hat, wenn sie so unschuldig und esoterisch guckt wie jetzt.
Und das in Nellys Richtung.
Nelly aber schweigt. Keinen Ton sagt sie.
Dann muss Frau Schick das eben tun. »Und warum soll ausgerechnet zu Herberger mehr Wahrheitsliebe und Verbindlichkeit so gut passen?«
»Weil sein Sternzeichen Waage ist.«
»Na und?«
»Waagen sind fanatische Freunde von Gerechtigkeit und Harmonie, aber sie tun sich schwer, verbindliche Entscheidungen zu treffen, weil sie zu lange das Für und Wider abwägen«, sagt Bettina. »Das gilt bei ihnen ganz besonders in Fragen der Liebe. Sie legen sich ungern fest, worunter sie selbst am meisten leiden.«
»Sie lesen zu viele Zuckerwürfel«, tadelt Frau Schick verärgert, die solche Sprüche vom Einwickelpapier in Kaffeehäusern kennt und immer noch nicht weiß, worauf Bettina mit diesem Unsinn hinauswill.
Die Musik setzt wieder ein. Ernst-Theodor trinkt einen doppelten Brandy, Hildegard wippt mit den Füßen und verliert einen Schuh. Doch Ernst-Theodor rührt keinen Finger, um ihn aufzuheben.
Frau Schick nutzt den Lärm, um näher an Bettina heranzurücken. »Was sollte dieser Vortrag gerade?«, flüstert sie ihrer Sitznachbarin ins Ohr.
»Ich hab etwas über Herberger herausgefunden«, wispert Bettina zurück.
»Ohne mich!«, empört sich Frau Schick.
»Wenn Sie sich Paolos Handy heute genauer angeschaut hätten, wären Sie auch darauf gekommen.«
»Ich benutze Handys zum Telefonieren, nicht zum Spionieren. Das müssen Sie mir erst noch beibringen.«
Bettina rückt noch näher an Frau Schick heran. Kein Blatt würde jetzt mehr zwischen beide passen. »Frau Schick«, wispert Bettina, »ich ahne jetzt, warum Herberger hier ist. Er …«
»Guten Abend, die Damen.«
Verdammt, jetzt ist Herberger tatsächlich da! Und zu früh. Die beiden Damen fahren auseinander.
»Buenas tardes, Bettina.« Die dunkle Stimme ist trotz Musik deutlich zu hören.
Bettina springt auf. »Herr Viabadel! Oh, wie schön! Sind Sie gekommen, um Quijote abzuholen?«
Der Hund interessiert sich nicht für sein Herrchen. Er inspiziert gerade die Speisereste auf dem Tisch. Schinken ist nicht dabei, heute gab es Fisch. Den mag er nicht.
»No.« Der Baske schüttelt den Kopf. »Nicht Quijote.« Das Nicht nimmt er ganz vorsichtig auf die Zunge. Er hat anscheinend angefangen, Deutsch zu lernen.
»Wir nehmen ihn gerne weiter mit«, versichert Bettina und klinkt zum besseren Verständnis eine imaginäre Leine an Quijotes Halsband. »Er ist fantástico por un buen camino«, wagt sie sich ans Spanische.
»Señor Viabadel bringt eine Nachricht für Frau Brinkbäumer«, mischt sich Herberger ein, der neben dem Basken steht und offensichtlich dessen und Bettinas sprachakrobatische Übungen abkürzen will. »Wo ist sie?«
Herrje, wo ist sie? Frau Schicks Augen suchen den Raum ab.
»Drauschen«, nuschelt Hildegard, die ihren verlorenen Schuh nicht findet.
Martha deutet zu einer Terrassentür.
»Ich hole sie«, sagt Herberger knapp.
Der Baske müht sich derweil, Bettina die Nachricht zu erläutern. Seine Brauen greifen die Musik auf und vollführen einen folkloristischen Sprungtanz mit sehr komplizierten Schritten. Bettinas Brauen tanzen mit.
57.
Der Jaguar schnurrt, die Leitplanken zwinkern aus gelben Katzenaugen, vereinzelte Warnschilder kündigen erste Haarnadelkurven an. Aber noch sind die Kehren zum Cebreiro-Pass weitläufig. Dafür geht es steil bergauf, und einige Straßenabschnitte sind ungesichert.
Herberger arbeitet sich konzentriert durch Dunkelheit und Nebelschwaden an klaffenden Abgründen vorbei auf den tausenddreihundert Meter hohen Gipfel vor. Der halbe Mond hat
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