Frau Schick räumt auf
denkt Herberger und schränkt sein Lob sofort ein, zumindest soweit man das von verzweifelten Frauen behaupten kann. Ricarda wollte nämlich sofort am nächsten Morgen nach Santiago kommen.
Nun ja, manche Männer sind auch nicht viel vernünftiger, gibt er zu. Der Baske etwa hat darauf bestanden, die guten Neuigkeiten persönlich nach Molinaseca zu bringen. Und zwar zu Bettina. Die ist eigentlich die falsche Adresse, aber für den Basken anscheinend die richtige.
Getroffen haben sich Herberger und Viabadel in Astorga. Herberger will lieber nicht wissen, wie viele Geschwindigkeitsbegrenzungen Viabadel übertreten hat, um dort rechtzeitig anzukommen und mit ihm bis kurz vor elf in Molinaseca zu sein. Seine eigenen Rennfahrten zwischen El Acebo, Santiago und Astorga haben ihm gereicht. Mit Pilgern hat das wirklich gar nichts mehr zu tun.
Nelly beendet ihr Gespräch kurz vor dem Passgipfel. »Warum haben Sie das für mich getan?«
»Frau Schick …«
»Nein«, sagt Nelly energisch. »Frau Schick hat damit nichts zu tun. Also?«
»Wie wär’s mit einem Kaffee?«, fragt Herberger zurück.
»Hier?«, fragt Nelly ungläubig zurück. »Um diese Uhrzeit?«
»Ich kenne da jemanden«, sagt Herberger.
Nelly stimmt zu. Bestimmt rechnet sie damit, zum Kaffee eine Erklärung zu bekommen.
Herberger nimmt einen Abzweig zu einem Parkplatz und parkt neben einem Pilgerdenkmal, das im Dunkeln leicht bedrohlich wirkt. Genau wie das Dorf Cebreiro, das mit seinen reetgedeckten Rundhäusern zwar ein wenig an die Wohnstätte von Asterix und Obelix erinnert, aber um diese Stunde wie ausgestorben scheint. Nelly fröstelt, es ist empfindlich kalt und feucht hier oben.
Herberger legt ihr eine Fleecejacke um, dann geht er mit einer Taschenlampe voran durch die Dunkelheit. Sie passieren eine Kirche mit stillem Vorplatz, laufen eine Steingasse hinab, umrunden ein mächtiges Rundhaus und erreichen eine schwere Holztür, neben der ein erleuchtetes Fensterchen verrät, dass noch jemand wach ist.
Herberger klopft an.
Ein grauhaariger Mann mit verwittertem Gesicht öffnet mit finsterem Gesichtsausdruck. Bei Herbergers Anblick hellt sich seine Miene auf. »Eckehart! Entrar!« Er nickt Nelly grüßend zu und zieht Herberger mit sich ins Haus.
Der Geruch von Fischsuppe und Kichererbsen-Eintopf schlägt Nelly entgegen. Ihr Gastgeber hat sie und Herberger in die Küche seiner Bodega mitgenommen. Ein Putzeimer auf einer blinkenden Stahlfläche zeigt, dass sie den Besitzer gerade bei den letzten Aufräumarbeiten nach einem arbeitsreichen Abend aufgestört haben.
Der herzlichen Begrüßung zwischen ihm und Herberger entnimmt Nelly, dass der Bodega-Betreiber Enrique heißt und ein alter Bekannter von Herberger, nein Eckehart, ist. Und ein gastfreundlicher obendrein. Er nimmt vier hochgestellte Stühle von einem blankgescheuerten Tisch und setzt Teller und Gläser darauf.
»Wir wollten doch nur einen schnellen Kaffee«, wendet Nelly in Herbergers Richtung schüchtern ein. »Sagen Sie ihm das bitte.«
»Kommt gar nicht in Frage«, antwortet Enrique auf Spanisch.
»Gegen Enrique haben Sie keine Chance, Nelly. Er versteht Deutsch, und außerdem gilt sein Krakeneintopf als einer der besten in ganz Spanien. Sie müssen ihn probieren.«
»Sí.« Enrique nickt und beweist seine Deutschkenntnisse mit dem Zusatz: »Und dazu eine galizische Rotwein! Aus meine Privatkeller.« Er verschwindet in den Bar-Raum.
Nelly schüttelt unwillig den Kopf. »Ich wollte wirklich nur einen Kaffee und eine Erklärung.«
Herberger zieht einen Stuhl für sie unter dem Tisch vor und setzt sich dann selbst. »Ich habe Sie hergebracht, damit Sie sich wenigstens in angemessener Form vom Jakobsweg verabschieden können, wenn Sie ihn schon nicht bis zum Ende gehen. Was ich im Übrigen nach wie vor für einen Fehler halte.«
»Ich nicht!«
Herberger nickt. »Wie Sie meinen. Aber der Flughafen von Santiago ist um diese Zeit ohnehin geschlossen, und Sie haben Hunger.«
»Habe ich nicht«, widerspricht sie.
»Aber Ihr Magen knurrt seit Molinaseca in immer kürzeren Abständen.«
Nelly nimmt seufzend Platz. Warum hat Herberger nur immer recht?
»Enrique ist ein ehemaliger Professor der Geologie aus Salamanca. Wir haben uns vor siebenundzwanzig Jahren während meiner ersten Jakobswegwanderung bei einer von ihm geführten Exkursion in den kantabrischen Bergen kennengelernt und sind Freunde geworden. Er hat sich damals in diese Gegend hier verliebt und sich nach seiner
Weitere Kostenlose Bücher