Frau Schick räumt auf
in tadellosem Businessoutfit, aber merkwürdigen Manieren durch die Ankunftshalle des Flughafens sprintet. Es gibt ja auch genug Erklärungen dafür, dass ihr Businessoutfit und ihr Koffer ziemlich lädiert aussehen, ohne dass sie in eine Prügelei verwickelt war.
Javier dreht im Laufen sein hinreißendes Gesicht zu ihr hin. »Ich möchte endlich ungestört sein. Mit dir«, keucht er und stoppt vor den Schaltern der Mietwagenfirmen. »Nur mit dir. Du bist genau das, was ich jetzt brauche. Eine Zuflucht, weit weg vom Lärm der Welt und all diesen Verrückten.«
Himmel, Javier ist ja noch viel, viel romantischer, als sie gedacht hat!
»Oder selbst verrückt«, warnt ihre innere Nervensäge Ricarda. »Vielleicht ist er als Kind in ein Fass Viño Tosantos gefallen und …«
»Hast du ein Auto gemietet?«, fragt Javier erfreulich nüchtern dazwischen.
»Ja, aber vielleicht kann ich es ja noch stornieren, dann können wir gemeinsam in deinem Auto nach Pamplona fahren«, schlägt Nelly schüchtern vor.
Javier hebt abwehrend und leicht gebieterisch die Hand. » No, no. Es geht nicht nach Pamplona.«
»Nicht?«
Javier lächelt. » No, mi corazón, erst einmal möchte ich dich entführen.«
Entführen? Nelly wird leicht unbehaglich.
Javier verbessert sich. »Ich meine, ich möchte dich an einen Ort bringen, an dem es nichts gibt außer uns, einem Stück Himmel und dem Paradies.«
»Gut, ja … ich … äh … meine«, stammelt Nelly. »Wo genau ist denn das?«
»Kennst du den Camino?«
»Den Jakobsweg?« Nellys Augen weiten sich vor Verblüffung. Sie schluckt, dann schaut sie an sich hinab.
Javiers Blicke folgen dem ihren bis hinab zu den Schuhen. » No, keine Bange, wir laufen nicht. Noch nicht. Wir brauchen nur dein Auto.«
»Und was ist mit deinem?«
»Ich habe keins mehr. Ich meine, ich musste es stehen lassen. Ein Freund hat mich hergebracht.«
»Aus Pamplona?«
»Nein, ich hatte gestern unerwartet in Bilbao zu tun. Langer Abend, zu viel Wein und ein bisschen Ärger im Geschäft. Mein Vater …« Er schüttelt den Kopf. »Ich brauche wirklich Ruhe und eine Pause, bevor es weitergeht. Bei welcher Autofirma hast du gebucht?«
Nelly zeigt auf einen Schalter.
» Muy bien. Gibst du mir deine Kreditkarte?«
Kein schöner Satz. Den hat sie in ihrem früheren Liebesleben ein paar Mal zu oft gehört.
Javier reguliert seinen feurigen Blick auf Wohlfühltemperatur herunter. » Mi corazón, vertrau mir. Es wird wunderschön. Wir beide fangen ganz neu an. Mit uns, mit allem.« Javier beugt sich zu ihr hinab. »Das willst du doch auch! Neu anfangen. Mit uns, mit allem. Herzlich willkommen.« Und dann küsst er sie.
Und wie.
Wenn Küssen eine Kunstform wäre, dann wäre Javier ein Impressionist vom Format Paul Gauguins. Er skizziert mit seinem Mund den ihren an, tupft pastellzart die Konturen aus und vollendet kühn und kraftvoll mit der Farbpalette berauschender Sinnlichkeit. Samtweich arbeitet er noch ein wenig nach, bis in Nellys Kopf ein Südseeatoll samt Palmenstrand und türkisfarbenem Meer entstanden ist. Eine einsame Insel vollkommener Glückseligkeit. Einsam? Wieso einsam. Sie hat doch jetzt Javier.
»Genau«, schlängelt sich Ricarda ins Paradiesbild. »Und Robinson hatte seinen Freitag. Da macht ein Schiffbruch doppelt Spaß.«
13
Frau Schick muss jetzt allein sein. Ganz allein. Sogar die Schick und Todden GmbH kann ihr heute gestohlen bleiben. Sie will wandern. Es ist ja erst acht Uhr am Morgen, was soll sie sonst den ganzen Tag tun? Schafe und Kuhfladen zählen? Da kommt sie ja um vor Langeweile.
Das hat zum Glück auch Herberger eingesehen und ihr dreieinhalb Gehkilometer von Burguete bis zum nächsten Dörfchen gewährt. Bis dahin geht es weder ganz steil nach oben noch nach unten und erst einmal über Asphalt. Der Weg ist trotzdem hübsch. Er schlängelt sich als schmales graues Band durch Hügelwellen und Tallandschaften voll sattgrüner Weiden. Die Berge begrenzen den Horizont, sind aber keine schroffen Himmelsstürmer mehr.
Dann endlich verlässt der Camino die Straße, um sich durch Haselnusssträucher, Eschen und Pappeln einem Fluss zu nähern, der sich mit fernem Rauschen ankündigt. Über allem wölbt sich wie gestern ein blitzblauer Himmel mit blankgeputzten Wolken.
Der Rest der Bande läuft heute stramme zwanzig Kilometer. Es geht über Stock und Stein, und auch einen Pass müssen die Wanderer queren. Oben wartet dann der Bus für den abschließenden Schlenker gen Pamplona, wo sich
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