Frau Schick räumt auf
»Kerosinschaden« und »verschwundene Kofferrolle« zusammen.
Nur gut, dass sie in Pamplona Zeit hat, alles zu regeln und sich umzuziehen. Nach erfolgreicher Businessfrau sieht nicht mehr viel an ihr aus. Sie rollt und hievt den widerspenstigen Trolley zu den Automatiktüren. Während diese auseinandergleiten, setzt Nelly ein – wie sie hofft – kosmopolitisch blasiertes Vielfliegergesicht auf. Nur gut, dass sie hier keiner kennt. Geschäftig will sie die Tür passieren. Der Koffer nicht. Salsa Fun krallt sich mit zwei von drei verbliebenen Rollen in eine Bodenschiene, als habe er soeben den Tanzpartner fürs Leben entdeckt.
»Wirst du wohl«, schilt Nelly den Koffer, bückt sich zu den Rollen hinab und rumpelt sie los.
» Con permiso?« Eine sehnige Hand schnappt sich den Griff.
Bitte nicht der Baske!
» Mi corazón!«
Nelly schnellt hoch. Er? Er! Sie blickt in ein Augenpaar, das aussieht, wie ihr Koffer riecht. Feuergefährlich. Was an der einzigartig schillernden Augenfarbe liegt. Nelly stockt der Atem. Ja, das ist er. Sein Mail-Foto war bereits beeindruckend, aber jetzt steht sie unwiderruflich in Flammen und ist froh, dass Javier das Feuer löscht, indem er beide Arme wie eine Decke um sie faltet und sie fest an sich zieht.
Wie unfassbar, unfassbar herrlich das ist! Sie ist bei ihm angekommen, atmet seinen Duft ein und weiß, dass diese Umarmung ihre kostbare erste Umarmung ist und sich auf immer in ihr Gedächtnis einbrennen wird – unter anderem, weil sich ein Hemdknopf in ihre Wange bohrt, ein etwas zu scharfes Aftershave ihre Augen tränen lässt und Javier leicht überhitzt ist. Egal. Hauptsache keine umständlichen Begrüßungen, kein Geschwätz, keine langen Erklärungen, keine Fragen.
Sie stutzt.
Doch. Eine.
Warum ist Javier in Bilbao und nicht in Pamplona?
Er löst sanft seine Arme, fasst sie bei den Schultern und antwortet, bevor sie fragen kann. »Ich hatte hier zu tun und … äh …«, stoppelt er auf Deutsch.
Nelly versichert ihm, sie könnten ruhig Spanisch sprechen. Er beginnt sichtlich erleichtert und flüssiger von Neuem: »Ich weiß, das ist etwas unerwartet, aber … Ich dachte, du magst Überraschungen, genau wie ich und …« Er bricht wieder ab, auf Spanisch weiß er anscheinend auch nicht weiter. Nein, wie rührend – seine Hände zittern! Er schaut nervös nach links und rechts und hinten und wieder nach vorn. Sie tut es ihm nach. Aus einer Kaffeebar winken der Baske und sein Clan. Die Großmutter hebt feierlich ihre Kaffeetasse und macht eine einladende Kopfbewegung.
Als Javier den Clan entdeckt, verfinstert sich seine Miene. »Kennst du diese Familie?«, fragt er erregt. Sein Blick wird so feurig, dass Nelly weiteres Unheil für ihr Kostüm befürchtet. Ein Brandloch.
»Sie saßen im Flugzeug neben mir«, sagt sie. »Stimmt etwas mit ihnen nicht? Sie waren eigentlich sehr freundlich.«
» S í , s í , aber mich kennen in ganz Navarra mehr Menschen, als mir lieb ist«, stößt Javier hervor. »Maldito!«
Nellys Gesicht wird zum Fragezeichen. Javier entspannt sich. »Verzeih , mi corazón, aber manchmal ist es ein Fluch, ein Tosantos zu sein.«
Javier fasst sie am Ellbogen und zieht sie und den Trolley mit sich fort. Er macht sehr lange Schritte, die Nellys Rock und ihren Pumps das Äußerste abverlangen. Jetzt verfällt er regelrecht in Lauftempo. Nelly kommt kaum mit. Schön, dass ihr Leben in Bewegung gerät, aber muss es gleich im Tempo von Lola rennt sein?
Salsa Fun holpert und hoppelt einen klackernden Flamenco. Hat Javier ein Temperament. Ob’s an dem sehnsüchtigen Blick des Basken lag? Wäre ja albern.
Es ist überhaupt ziemlich albern, so durch diesen Provinzflughafen zu hetzen, als sei er ein Popstar, den internationale Paparazzi jagen, oder als sei er Richard Kimble, der Mann auf der Flucht. So berühmt kann eine Winzerfamilie ja wohl nicht sein und … Moment! Wie kommt sie auf Richard Kimble? Das ist doch ein Krimi und eigentlich nicht ihr Genre. Mit Schießfilmen kennt sie sich nicht aus.
»Ich aber«, flüstert Ricarda aus dem Off, und Nelly ergänzt automatisch: » Sollte dich das Phantom von Pamplona in irgendeinen Schlamassel verwickeln, dann hol ich dich da raus . »
Sie hat es gewusst, sie hat es gewusst. Jetzt spukt ihr diese dumme Giftmail bei der unwiederholbaren ersten Begegnung im Kopf rum und schiebt sich zwischen Javier und sie und die Liebe. Dabei gibt es bestimmt eine völlig vernünftige Erklärung dafür, dass sie mit einem Mann
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