Frau Schick räumt auf
dem Wanderstock über, bis er loslässt und ergeben nickend zurückbleibt. Der Wald wird zu einem halben Urwald. Frau Schick ist dennoch alles andere als beunruhigt. Schiefgehen kann nichts. Sie hat ihr Handy dabei, durch das Herberger immer weiß, wo genau sie gerade ist. Sie sind sozusagen kosmisch verbunden, was Bettina sicherlich gefallen würde. Und die alle naselang aufgepinselten Pfeile und die gelben Muscheln auf blauem Grund, die den Weg markieren, erkennt selbst sie, erst recht mit Brille. Dieses Monster trägt sie ungern, weil sie doch immer stolz auf ihre scharfen Augen war und ihr Leben lang Arztbesuche weitgehend vermieden hat. Wenn man hingeht, bekommt man auch irgendeine Diagnose, und dann hat man den Salat. »De beste Krankheit taucht nix, Röschen«, hat die weise Schemutat gewusst, und auch das stimmt.
Frau Schick will gar nicht erst damit anfangen, zu zimpern und zu jammern. Anders als Hildegard, die beim Frühstück ein ausführliches Bulletin über ihren Gesundheitszustand zum Besten gegeben hat. Hauptthema: Füße. Die beseelte Bettina hat ihr eifrig Hirschtalg und Blasenpflaster angeboten.
»Nein danke, das haben wir selbst«, hat Hildegard schnippisch geantwortet. Das Wir hat sie besonders betont, weil Ernst-Theodor sich zuvor erfrecht hat, Bettina das letzte Stück des klebrigen Frühstückskuchens anzudienen, anstatt es seiner hageren Hildegard anzubieten.
Ernst-Theodor macht sich.
»Aber ich denke, du verträgst am Morgen nichts Süßes«, hat er noch versucht zu retten, was nicht mehr zu retten war. »Mit deinem empfindlichen Magen und wegen deiner freiliegenden Zahnhälse.«
Manche Männer lernen’s nie, hat Frau Schick gedacht. Als ob es um Kuchen ginge, noch dazu um einen, der wie Mullbinde mit Aprikosenmarmelade schmeckt, wenn eine Frau einer anderen den Krieg erklärt. Und das hat sie – auch wenn Hildegards Warnschüsse völlig unnötig sind, weil Bettina ihre blauen Sehnsuchtsblicke ganz auf den schmucken Herberger verschwendet hat. Der allerdings hatte nur Augen für den falschen Jesus.
Ob das Bettgeflüster vom Doktor heute Morgen wirklich Bettina galt? Frau Schick ist sich nicht mehr sicher, aber einer Frau galt es bestimmt. Da war so ein unverkennbar zarter Schmelz in Herrn Wolfharts Stimme. Seltsam, seltsam, seltsam, da kenn’ sich einer aus.
Immerhin ist diese menschliche Komödie eine willkommene Ablenkung von ihrem eigenen Schlamassel. In diesem Sinne stimmt, was in der Bibel steht. »Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei.« Immer nur mit sich selbst, ohne ihre Pflichten und das Geschäft, würde sie es auf Dauer schlecht aushalten. Aber für dreieinhalb Kilometer geht das gut, sogar ganz hervorragend. Sie läuft wie am Schnürchen, und die träge Fließgeschwindigkeit des Flüsschens, das den Weg nun begleitet, macht ihr keine Konkurrenz. Es ist ja kaum mehr als ein Murmelbach.
Fast bekommt Frau Schick Lust, an seinem krummen Ufer Rast zu machen, ihren gemopsten Frühstückskuchen zu zerkrümeln und Forellen zu füttern; die haben gewiss weniger Last mit einem ungehorsamen Darm. Ach ja … Einfach mal auf sonnenwarmen Steinen sitzen und aus dem Gesetz der Zeit aussteigen!
Nix da! Ultreia. Außerdem dürfte das Hinsetzen und Hochkommen reichlich anstrengend sein. Besser, sie bleibt in Bewegung. Frau Schick zieht überhaupt die Vertikale vor, das geht nicht so ins Kreuz. Ausruhen kann sie sich später in Pamplona.
Herberger will in diesem Spinat-Beeren-Dorf »beim Gotteshaus warten«, wie er süffisant bemerkt hat. »Da können Sie dann Ihre morgendliche Andacht fortsetzen.«
Knallkopp! Ob Bettina und er sie in der Kirche von Burguete die ganze Zeit über belauscht haben? Egal. Dass sie auf Gott nicht gut zu sprechen ist, weiß inzwischen ohnehin jeder. Aber das mit dem Pistazienstein, das hat sie wirklich sprachlos gemacht. Zitronenchrysopras. Was weiß dieser Doktor Allwissend eigentlich nicht? Auch deswegen wird sie ihn nochmal ins Gebet nehmen müssen. Was bitteschön sollte heißen, er habe mal beruflich mit solchen Knickern zu tun gehabt? Quatsch, Knicker! Ein Halbedelstein ist das natürlich. Ähnliche wurden in ihrer Kindheit in Schlesien abgebaut. Sie hießen dort »Goldlauch«, und ihre Mutter hatte eine Brosche daraus, umkränzt von grünem Peridot und Bernstein.
Thekla hat solches Zeug später auch gesammelt, der Heilkraft wegen. Sie hat die Steine regelrecht studiert und ihre ganze Wohnung damit zugepflastert, mit Amethystdrusen,
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