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Frau Schick räumt auf

Frau Schick räumt auf

Titel: Frau Schick räumt auf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellen Jacobi
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einer Buche ein Wegkreuz aus der Erde. Frau Schick stapft darauf zu. Nicht der eingeritzten Ortsnamen wegen, sondern weil vom polierten Holz etwas herabbaumelt: ein Buch in wetterfester Plastikfolie. Ein Stift liegt auch bei. Na so was! Wer hängt denn Bücher in die Landschaft? Sie lehnt die Wanderstöcke ans Kreuz und zieht das Buch aus seiner Hülle, klappt es auf.
    Ach so, das ist so ein »Ich-war-auch-hier«-Kritzelheft.
    Frau Schick ruckt ihre Brille gerade und beginnt zu lesen. Ein George aus New Zealand hat das Heft vor einem Jahr hier hinterlassen. »Ich komme wieder«, verspricht er in Englisch und bittet: »Erzählt mir von euch.« Klaas aus Rotterdam grüßt mit drei Ausrufezeichen und ebenfalls in englischer Sprache eine Fiona aus Irland, die er auf dem weiteren Weg dringend wiederzusehen hofft.
    Frau Schick muss lächeln, weil ein Herzchen drunter gemalt ist, aus dem Rosen und drei Pfeile sprießen. Der gute Klaas ist bei der Gottessuche wohl auf amouröse Abwege geraten. Tja, auch Liebe treibt voran, und bei Bedarf kann er in Santiago ja ordentlich büßen.
    Eine Roswitha aus Schweinfurt berichtet atemlos und ohne Punkt und Komma von dem überwältigenden Gefühl, den Pyrenäenpass gequert zu haben.
    Mit verwackelter Hand hat eine Edeltraut, die sicher nicht mehr jung war, ein Zitat von Saint-Exupéry eingetragen: »Herr gib, dass ich warten kann. Ich möchte Dich immer aussprechen lassen. Das Wichtigste im Leben sagt man nicht selbst, es wird einem gesagt. Darum bin ich hier. Danke für jede Begegnung und Buen Camino. «
    Edeltrauts lyrische Anklänge haben diverse Nachfolger inspiriert. »Wir sind Pilger, die auf verschiedenen Wegen auf einen gemeinsamen Treffpunkt zuwandern«, hat ein Horst aus Sindelfingen ebenfalls mit Saint-Exupéry geantwortet.
    Sind hier lauter Gedichtfreunde unterwegs? Müssen die viel Zeit haben, so kommt man ja nie weiter, wenn man ständig Pausen einlegt, um gereimte Grüße auszutauschen!
    »Der Weg wächst im Gehen unter deinen Füßen«, hat ein Pilger von dem Lyriker Reinhold Schneider gelernt.
    Nun, da ist zweifellos was dran, und darum will Frau Schick das Buch auch zuklappen und zurück in seine Plastikhülle stopfen, als ihr Blick an einem Namen hängenbleibt.
    Thekla.
    Sie erstarrt und tastet mit der Rechten haltsuchend nach dem Kreuz. Der Wind spielt in den Buchseiten, will knisternd umblättern. Frau Schick lässt das Kreuz los und hält die Seite fest. Sie schwankt, schluckt und zwinkert. Die Schrift verschwimmt. Wirklich lästig diese zunehmende Lichtempfindlichkeit! Dann liest sie noch einmal und atmet seufzend aus. Was ist sie nur für ein Dummerchen, da steht natürlich »Thea«. Thea!
    Und Moses.
    Den hat die ihr gänzlich Unbekannte in steilen, aufstrebenden Buchstaben zitiert: »Der Herr aber, der selber vor euch hergeht, der wird mit dir sein und wird die Hand nicht abtun, noch dich verlassen. Fürchte dich nicht und erschrick nicht.«
    Sie und erschrecken, pah! Energisch klappt Frau Schick die Kladde zu und steckt sie zurück. Dann entziffert sie den Ortshinweis auf dem Querbalken des Kreuzes: »Espinal-Aurizberri«. Wusste sie doch, dass sie in ein Dorf muss, das ein bisschen wie Spinat und Beeren klingt.
    So was will und kann sie sich nicht mehr so genau merken. Warum auch? Wenn die Basken und die Spanier sich wegen der Ortsnamen nicht einigen können, darf es ihr ebenfalls wurst sein. Außerdem wartet Herberger mit dem Jaguar in ihrem Zielort, der wahrscheinlich mehr Namen als Einwohner hat.
    Also Abmarsch! Vorbei geht es an einer Schlehenhecke, die bereits schwarzblaue Beeren ansetzt und die Luft mit herbem Herbstgeruch parfümiert. Nahebei murmelt und gluckt Wasser über Stein. Buchfinken üben schimpfend, ziepend und flötend ihr Abschiedskonzert vom Sommer ein, ihr letzter Gruß, bevor sie ins winterliche Schweigen verfallen. Das kennt Frau Schick noch von Pöhlwitz. Nicht ganz so kunstvoll krächzt eine Saatkrähe dazwischen. Nun ja. »Im Wald wäre es sehr still, wenn nur die Besten sängen«, hat die Schemutat immer geknurrt, wenn einer ihre schiefen Psalmengesänge bespöttelt hat.
    Frau Schick schüttelt leise lächelnd den Kopf. Gute alte Schemutat, die wächst sich noch zu ihrem Schutzengel aus, war ja auch ein Licht ihrer Kindheit.
    Die Bäume stehen jetzt dicht an dicht, und das Gestrüpp wuchert so üppig, als fordere es den Weg für sich zurück. Ein aufdringlicher Dornenzweig krallt nach Frau Schicks Hosenbein; sie zieht ihm eins mit

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