Frau Schick räumt auf
Übrigens, das Frühstück ist serviert.«
»Danke. Sie dürfen dann verschwinden.«
Ihr Chauffeur lächelt in seinen silbergesträhnten Bart, der Frau Schick mit einem Mal an den Gottvater ihrer Kindheit erinnert. Unerträglich. »Sie stören meine Andacht!«, sagt sie.
»Ich fahr schon mal den Wagen vor.« Herberger schaut aus, als habe er sein Leben lang darauf gewartet, diesen legendären Satz einmal sagen zu dürfen.
Frau Schick runzelt die Stirn. » Derrick kennen Sie also auch?«
Herberger grinst. »Ich liebe alles, was mit Verbrechen zu tun hat, Frau Schick. Verbrechen sind meine Passion.«
Steine auch? In Frau Schicks Ohren klingt er ein wenig wie ein Juwelendieb. Ist er offensichtlich aber nicht, denn er streckt ihr den Chryso-Dingsda, ach was!, den Knicker, hin. »Ist der was wert?«, fragt sie.
»Die Antwort liegt einzig und allein im Auge des Betrachters.«
»Ich meinte: rein finanziell.«
»Dann lautet die Antwort: ›Nein, nicht wirklich‹, aber vielleicht hat er ja magische Kräfte?«
»Sie glauben doch hoffentlich nicht an solch einen Blödsinn.«
»Und Sie?«
»Seien Sie nicht albern.«
»Wenn Ihnen der Stein nicht gefällt, können Sie ihn am Cruz de ferro ablegen« schlägt Herberger vor. »Das machen Pilger schon seit Jahrhunderten so. Sie werfen beim Eisenkreuz auf einer Passhöhe vor Santiago ein Steinchen ab, dem sie ihre Sorgen und Nöte und Fragen anvertraut haben. Die meisten bringen solch einen Stein von daheim mit.«
»Ich pack mir doch keine Steine in den Rucksack.«
»Man kann auch einen nehmen, der einem auf dem Weg vor die Füße fällt.«
»Woher wissen Sie, dass dieser Knicker mir vor die Füße gefallen ist?«
»Ich rate gern.«
Frau Schick zögert einen Moment, dann klaubt sie die Kugel aus Herbergers Hand und wendet sich wieder der Muttergottes zu.
»Sie sollten es mit Ihrer Andacht nicht übertreiben«, mahnt Herberger. Ein Lächeln umzuckt seine Mundwinkel.
»Ich weiß sehr wohl, was mir guttut.«
»Ich fürchte eher um den Seelenfrieden der Madonna.«
»Haben Sie etwa gelauscht?«
»Sie waren nicht zu überhören, und jetzt kommen Sie, der Kaffee wartet.«
12.
Nelly steht am Kofferlaufband und hofft, dass die Iberia ihr Gepäck zuletzt auslädt. Hauptsache, sie wird die Basken endlich los. Die sind wirklich freundlich, aber sie hat es langsam satt, immerfort Einladungen zum Essen, zu Übernachtungen mit Familienanschluss und Weinfesten im Namen sämtlicher Heiliger der Region Navarra ablehnen zu müssen. Ihr baskischer Sitznachbar ist nämlich Erster Vorsitzender des Winzerverbandes der Provinzen von Navarra. Das hat er ihr verraten, nachdem sie ihm dummerweise gesagt hat, warum sie geschäftlich nach Pamplona muss und auf keinen Fall in seinem Auto und in sein Leben mitfahren kann. Seine Visitenkarte hat sie achtlos eingesteckt. Himmel, der Name dieses Mannes interessiert sie ungefähr so brennend wie dessen Schuhgröße.
Sie hätte im Flieger seine Hand nicht festhalten dürfen, schon gar nicht die Finger in sein Hosenbein krallen, das ist ihr klar, aber wenn man sich gerade mitten in einem Flugzeugabsturz befindet, ist das noch lange kein Verlobungsversprechen. Es ist auch kein Grund, mit den Augenbrauen noch einen Hochzeitswalzer zu tanzen, wenn die Maschine sicher gelandet ist.
Neben ihr schwelgt der Baske noch immer in der Rolle des Kavaliers und Lebensretters und hält nach ihrem Koffer Ausschau. Endlich taucht ein Ungetüm auf, für das ein halbes Dutzend Krokodile ihr Leben lassen musste. Es gehört seiner Großmutter und scheint das letzte Mitglied ihrer Kofferfamilie zu sein, die bereits zwei Gepäckkarren in die Knie zwingt.
Die Señora kommandiert ihren ausgewachsenen Enkel zum Tragen ihres Krokodils ab und scheucht ihn damit von Nellys Seite. Der Baske ergibt sich ein wenig traurig seinem Schicksal und kündigt für draußen noch einen ausführlichen Abschied an. Wie viele spanische Worte für »Auf Wiedersehen« gibt es denn noch?
Dann endlich machen sich die Basken unter fröhlichem Winken auf den Weg zum Ausgang. Nelly winkt zurück und sieht, wie die Großfamilie in der Ankunftshalle von einem weiteren Schwung Verwandter in Empfang genommen wird.
Außer Nelly wartet nun nur noch ein Trupp Jakobspilger, die man an den baumelnden Muscheln um ihren Hals und den trittfesten Schuhen an ihren Füßen erkennt, auf das Gepäck. Seltsames Trio: drei bayerische Männer Mitte fünfzig, die mit Sepplhüten und grölend guter Laune nicht
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