Frau Schick räumt auf
eben heilig nüchtern oder fromm beseelt ausschauen, sondern nach einer Mischung aus Kegelclub und Harley-Davidson-Fans. Sie zerren ihre High-Tech-Ausrüstung vom Band, muntern sich mit einem »Pack’n mer’s« gegenseitig auf und lüpfen keck bis anzüglich die Hüte in Nellys Richtung. Beim Hinausgehen planen sie lautstark eine Kneipentour durch Pamplona, das sie im Taxi statt per pedes erreichen wollen. Nelly schüttelt den Kopf. Jeder Mensch ist ein eigenes Universum und jeder Pilger auch, aber solche Wallfahrer können einem glatt den Glauben an die Magie des Jakobsweges nehmen. Nur gut, dass sie da nicht hinwill.
Erleichtert seufzt Nelly auf. Endlich allein. Jetzt kann sie das Gefühl genießen, auf spanischem – pardon, baskischem – Boden zu stehen. Sie ist wieder da. Es gibt sie wieder, die Nelly im Glück. Und bald ist sie in Pamplona. Zuletzt war sie als Studentin in diesem wundervollen Land. Für zwei Auslandssemester. Ein Gefühl lang vergessener Freiheit weitet ihr die Brust. Herrlich, jetzt kommt ihr Leben wirklich wieder in Bewegung, schmeckt süß nach Abenteuer, statt bitter nach Einsamkeit.
Schon den automatischen Lautsprecheransagen an die Señoras y Señores passageres zu lauschen, die den Befehl geben, mit Argusaugen auf das Gepäck aufzupassen, macht Spaß. Der allerdings nimmt bei der sechsten Wiederholung ab. Sie weiß jetzt, dass sie auf ihr Gepäck achtgeben sollte, nur die Iberia selbst offenbar nicht.
Die Gummiplatten des Kofferbands ziehen schlappend, aber ohne ihren Trolley ihre Endlosschleife. Nelly kramt im Rucksack nach den Mietwagenpapieren. Eigentlich könnte sie Ricarda jetzt rasch auf ihre unverschämte Mail antworten. Sie ist in der richtigen Stimmung. »Selbstbefreit und auf dem Weg zum Meer«, heißt das in einem Grönemeyer-Song.
Zugegeben, Pamplona liegt nicht am Meer, sondern im Landesinneren. Trotzdem. Nelly summt das Lied kurz an, während sie in ihrem Rucksack nach dem Handy gräbt. Ihr fallen auch ein Paar Textfetzen ein. Das Lied hat sie nach ihrer Scheidung gern in orkanartiger Lautstärke gehört und mitgesungen. Geniale Musik. Dreh dich um, dreh dich um, dreh dein Kreuz in den Sturm … Genau. Vergiss dein Vakuum. Ja. Wer ersetzt dir dein Programm? Na ja, hm. Wer hilft dir, dass du dich nicht von dir entfernst?
In keinem Fall RICARDA.
Klingt alles ein bisschen grimmig und bedrohlich wie die ganze Melodie. Es muss an den vorhin erlebten Turbulenzen und dem Tief über der Biskaya liegen, dass sie auf so was kommt. Und an dieser saublöden Mail. Himmel, jetzt ist sie richtig wütend! Na, umso besser, da kann sie Ricarda kräftig Kontra geben.
Verflixt, kann sie nicht.
Ihr Handy steckt nämlich noch zwischen Spucktüten, den Sicherheitshinweisen und dem Bordmagazin in einer Sitztasche fest. Was ist sie nur für ein Schussel! O weh!, das wird eine schöne Telefoniererei geben, bis sie das Teil zurückhat.
Eine tolle Bilanz bislang: ein unrettbar beflecktes Designerkostüm, ein nagelneues, schon verbummeltes Handy und ein ebenso neuer und anscheinend ebenfalls verschwundener Koffer der Marke Salsa Fun Multiwheel. Ihr neues Leben fängt mit einer Menge Verlusten an. Sie hält ja einiges von Feng Shui und davon, alten Ballast wegzuwerfen und sich von Gespenstern zu befreien, aber quasi besitzlos neu anzufangen ist ein bisschen viel Freiheit und Abenteuer auf einmal.
Nelly schaut beschwörend auf das Kofferband.
Flapp, flapp, flapp!, quält es sich über die Runden. Jetzt trägt es einen zusammengeklappten Buggy auf dem Buckel, den in Bilbao keiner haben will und der dafür vielleicht samt baumelndem Schnuller am Band einer Kleinfamilie auf Mallorca fehlt.
Da! Endlich schiebt sich ihr Trolley durch den Schlund der Gepäckausgabe und dreht einsam eine Ehrenrunde. Nelly stöckelt ihm entgegen. Wie sieht der denn aus? Kaum wiederzuerkennen. Hatte Salsa Fun einen Zusammenstoß mit einem Jumbojet?
Die Aluminiumschale ist zerbeult, der Griff, an dem sie ihn zu sich heranzerrt, riecht nach Kerosin, das ihr Rock gierig einsaugt. Wenn sie ein Streichholz dranhielte, gingen Salsa Fun, ihr Rock und sie wahrscheinlich in die Luft. Hat die Sicherheitskontrolle das Ding in eine Kofferbombe verwandelt?
Eine Rolle hat das Schmuckstück auch verloren. Jetzt humpelt nicht nur sie – dank Bleistiftrock –, sondern auch ihr dreibeiniger Koffer. Was für ein Paar!
Nelly schüttelt den Kopf und sammelt in Gedanken bereits das spanische Vokabular für »Beulen«,
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