Frau Schick räumt auf
kann sich ja mal wieder kein Mensch merken!«, protestiert Frau Schick. »Klingt wie eine Rachenkrankheit. Buchstabieren Sie mal.«
»Wie wäre es, wenn ich Sie und Bettina einfach hinfahre?« Herberger hat offensichtlich immer noch nicht aufgegeben. »Das ist bedeutend effektiver als ein Fünf-Minuten-Kurs in spanischen velar, dental oder frikativ gesprochenen Konsonanten. Von der spanischen Rechtschreibung mal ganz abgesehen.«
»Nichts da! Sie bleiben und gehen wandern.«
»Ich soll wandern? Dafür werde ich nicht bezahlt.«
»Ich möchte, dass Sie Nelly begleiten und aufpassen, dass ihr nichts passiert. Betrachten Sie das Ganze doch einfach als Ihren freien Tag und einen gemeinsamen Betriebsausflug. Die Schick und Todden GmbH war immer für ihr äußerst mitarbeiterfreundliches Betriebsklima und gute Sozialleistungen bekannt, auch wenn einige meiner Mitarbeiter das schamlos ausnutzen und auf Kosten der Firma eigenen Plänen nachgehen.«
»Was meinen Sie denn damit?«
»Nichts, was Sie etwas angeht. Und jetzt schreiben Sie uns die Adresse von diesem Hotel auf. Und zwar pronto – so sagt man doch hier –, sonst verlieren Sie den Anschluss an die Gruppe.«
24.
Gehen tut gut. Einfach gehen. Schritt für Schritt den Kater abhängen, die schwarzen Gedanken an die Vergangenheit, ihr Leben im Stillstand und jedes Fitzelchen Javier. An diesen Mistkerl zu denken tut heute eher im Kopf als im Herzen weh.
Sonderbar, erst hat ihr Magen, dann ihr Herz gegen ihn rebelliert, und nun ist der Kopf dran. Das depperte Ding hätte ruhig früher auf Alarm schalten können! Erst jetzt und damit viel zu spät verursacht jeder Gedanke an den Halunken einen blitzartigen Schmerz, der alle Synapsen durchjagt, kurz auf der Netzhaut nachleuchtet und dann verlischt. Es ist der Schmerz der Erkenntnis.
Nelly hätte es wissen müssen und ihn und sich durchschauen können. Von Anfang an. Aber ihr Herz hat die dumme Begabung, viel zu viel zu fühlen und lieben zu wollen, egal um welchen Preis. Und ihr Verstand hat das Talent, sich dem Herzen unterzuordnen. In achtundvierzig Lebensjahren hat sie nie gelernt, was es heißt, mit Vernunft und Augenmaß zu lieben und die Gefühle, wenn nötig, zu zügeln – so wie Ricarda. Die Beneidenswerte hat die Liebe nicht gesucht, sondern sich von ihr und Fellmann finden lassen. Wie klug, dass sie vorher still verzichtet hat und warten konnte.
Nelly selbst hat sich hingegen immer heimlich für eine Art spätes Dornröschen gehalten, das nie altert und wach wird, wenn der einzige wahre Prinz es wachküsst. Damit muss sie erneut an Javier denken. In ihrem Schädel schlagen wieder Blitze ein, ihr Kreislauf sackt ab. Sonderbar, dass Schmerz und Traurigkeit so mühelos nebeneinander existieren können.
Nelly atmet tapfer gegen beides an und konzentriert sich auf ihr neues Mantra: »Einfach gehen!« Das kann sie. Noch besser funktioniert die Variante: »Ich gehe.« Das zu sagen und zu tun, reicht momentan, schenkt ihr inneren Frieden und fühlt sich richtig und gut an.
»Ich gehe«, murmelt sie, »ich gehe.« Beim nächsten Schritt schmückt sie ihr »Ich gehe« mit einem erleichterten Ausrufungszeichen: »Ich gehe! … Ich gehe, ich gehe, ich gehe!« Man kann das auch singen.
»Das ist kaum zu übersehen«, knurrt hinter ihr Herberger.
Griesgram! Hach, jetzt weiß sie, an wen der sie von Anfang an erinnert hat: an den Muffkopp in der Panzerglasloge des Finanzamts. Genauso verhaust und vom Leben gekränkt sieht Herberger auch gelegentlich aus, zumindest wenn er mit ihr zusammen ist. Angelächelt hat er sie bislang nur einmal. Und zwar gestern, als er sie mit einem Flugticket loswerden wollte.
Nelly beschleunigt ihre Schritte. Nichts wie weg von dem falschen Fuffziger!
»Sind Sie sicher, dass Sie ab jetzt ganz allein zurechtkommen?«, ruft er hinter ihr her.
Nelly beschleunigt statt einer Antwort ihr Tempo noch und ärgert sich. Herberger hat nämlich Recht behalten: Der Abstieg vom Pass der Vergebung war nur mit seiner Hilfe zu bewältigen. Aber seither, also gut einer Stunde, geht sie bereits allein, aufrecht und schnurgerade, ohne auch nur einmal gestolpert zu sein.
Die Tallandschaft ist weit und sanft gewellt. Kornfelder vergolden sie mit frischen Stoppeln, Rundballen aus gepresstem Stroh bewachen die abgeernteten Äcker und sonnenbleiche Wiesen. Vor einer halben Stunde haben sie ein Dorf passiert, von dem Nelly dachte, kaum zu glauben, dass es so eines noch geben kann. Eingeschmiegt in
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