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Frau Schick räumt auf

Frau Schick räumt auf

Titel: Frau Schick räumt auf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellen Jacobi
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ordentlich überschätzt zu haben. Die ist ja heute kaum drei Meter gewandert«, zerstört Hildegard die versöhnliche Stimmung, die sie gerade erst aufgebaut hat.
    Kritik an ihrer Retterin kann Nelly nicht durchgehen lassen. »Frau Schick weiß sehr genau, was sie sich zumuten will und was nicht.«
    »Das mag sein, aber sie nimmt dabei bedauerlich wenig Rücksicht darauf, was man anderen zumuten darf! Die ist ja völlig verrückt.«
    Nelly schweigt und betet ohne Unterlass ihr neues Mantra, während Hildegard ihr Vorträge über rücksichtslose Menschen im Allgemeinen und den greisenhaften Starrsinn von Frau Schick im Besonderen hält, bis sie endlich die geteerte Dorfstraße von Muruzábal erreichen. An einer Hausecke erwarten Paolo und Herberger sie bei einem verbeulten Blechschild.
    Paolo wartet, bis sich alle Wanderer versammelt haben, dann führt er sie um mehrere Häuserecken, bis die Straße wieder zum Weg wird. Der führt in eine offene Ebene und Felder voll später Sonnenblumen.
    Einfach hineinzugehen, als betrete man ein berauschend farbiges Gemälde, ist so schön, dass es beinahe schmerzt, denkt Nelly. Sie setzt sich von Hildegard ab, die ihrem Talent, in allem Schönen das Hässliche und in jeder Suppe eine Fliege zu entdecken, wieder alle Ehre macht, indem sie lautstark über landschaftszerstörerische Monokulturen referiert.
    Darf man nicht wenigstens ein Sonnenblumenfeld einfach nur schön finden? Ja, entscheidet Nelly, das darf sie.
    Knapp zehn Minuten geht es durch Sonnenblumen, dann folgen abgeerntete Felder und Wiesen, die laut Paolo im Frühsommer in rotem Klatschmohn wiegen, und mittendrin steht in gleißendem Mittagslicht eine kleine Kirche.
    »Santa María de Eunate«, sagt Paolo und legt eine Art Schweigeminute ein. Dann dreht er sich mit dem Rücken zur Sonne, um einen kleinen Vortrag über die »Madonna im Kornfeld« zu halten, wie die Kirche im Volksmund zärtlich genannt wird.
    Nelly erfährt, dass das steinerne Oktagon mit dem baskischen Namen, der für »hundert Tore« steht, ein geometrisches Rätsel und zugleich ein architektonischer Geniestreich mit dem Antlitz einer mystischen Kultstätte ist.
    »Die Legende empfiehlt, den außen umlaufenden Kreuzgang dreimal barfuß und in Stille zu umschreiten«, erklärt Paolo weiter. »Einmal für die Geburt, einmal für das Leben und einmal für den Tod. Dann sollten Sie eintreten und in der Raummitte, wo sich alle Deckenpfeiler treffen, den Kopf in den Nacken legen. Dort schauen Sie das Ziel jeder Lebensreise.«
    Paolos Ton ist nüchtern, aber ein wenig sieht er wieder nach Jesus aus. Wie ein Jesus in verblichenen Shorts und staubigen Trekkingsandalen. Aber das stört Nelly nicht. What if God was one of us , summt Joanne Osborne in ihrem Kopf. Just a stranger on the bus, just a slob like one of us .
    Ja, wie wäre das, wenn Gott und vor allem sein eingeborener Sohn auf Erden ein ratlos und rastlos im Leben herumirrender Reisender wäre? Menschlich, denkt Nelly und lauscht weiter der Musik in ihrem Kopf. Trying to make his way home. Back up to heaven all alone. Gott, wie das passt! Und nicht nur zu Paolo.
    Herberger, der hinter ihm auftaucht, stört allerdings. Er schaut nämlich drein wie ein bärtiger Professor, der seinen Lieblingsschüler der Welt präsentieren und zugleich prüfen will, ob er seinen hohen Ansprüchen gerecht wird. Das ist ja schlimmer als die ewigen Besserwisser, die dazwischenquatschen, wenn der Reiseleiter spricht! Herrje, Paolo ist doch nicht Herbergers Protegé!
    Nelly wendet ihre Augen wieder dem Kirchlein zu und versäumt dadurch den Ausdruck von Dankbarkeit und bescheidenem Stolz, der Herbergers Gesicht flutet, als Paolo ihn um Erläuterung der Geheimnisse der Templer von Eunate bittet.
    Nein, das will Nelly sich nicht anhören. Immer wenn es mystisch wird, lauern hinter irgendeiner Ecke die Tempelritter und machen alles schrecklich kompliziert, und die Weltverschwörungstheoretiker der Erde feiern fröhlich Urstände. Aber das Thema Templer passt zu dem selbstverliebten Hobbyhistoriker, der im wahren Leben sein Geld als Chauffeur verdient.
    Dass die Kirche von Eunate ein mysteriöser Ort ist, sieht sie auch ohne einen Mann, der Welterklärer spielt und dabei zerstört, was er vorgibt zu ergründen: Eunates magnetische Stille.
    »Einfach gehen«, flüstert es in ihrem Kopf.

25.
    Frau Schick freut sich. Bettina und sie haben die Bodegas tatsächlich gefunden. Jedenfalls fast und auch beinahe ohne Umwege, wobei die

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