Frau Schick räumt auf
Nase wird auch gleich so schrecklich rot.
»Nun … äh … ja«, sagt Frau Schick vage, um Zeit zu gewinnen. »Krankenschwester ist doch ein sehr schöner Beruf, und er passt zu Ihnen. Sie haben da sicher viel Talent. Obwohl ich sagen muss, dass ich die Idee mit dem grünen Knicker etwas verstörend fand. War das Theklas Einfall? Ich hätte mich darüber sehr erschrecken oder darauf ausrutschen können. Dann wäre ich jetzt vielleicht ein echter Pflegefall.«
Bettina wendet ihr abrupt das Gesicht zu und vergisst zu weinen. »Knicker? Was meinen Sie nur immer damit?«
»Na, diesen Zitronenchrysopras mit dem wunderlichen Spruch, der in Burguete vor meiner Zimmertür lag.«
Bettina reißt die Augen auf. Da ist er ja wieder, dieser selten ahnungslose Puppenblick. Man darf gespannt sein, was jetzt kommt. Hoffentlich nichts Esoterisches oder Metaphysisches. Frau Schick erwartet Fakten. Damit kann sie besser umgehen.
»Sie haben einen Heilstein bekommen? Aber, ich dachte, das … Also ich dachte … Sie hätten … Ich dachte …«
Denken scheint für die gute Bettina reichlich ungewohnt zu sein, sonst würde sie sich mit dem Formulieren nicht so schwer tun.
»Was dachten Sie?«, hilft Frau Schick nach.
Bettina windet sich aus dem Sitz. Sie greift nach ihrem Rucksack, kramt darin herum, breitet ihre Trinkflasche, ein T-Shirt zum Wechseln und ihre Wandersocken auf dem Sitz neben Frau Schick aus und fischt endlich einen kleinen blauen Gegenstand hervor. Eine Kugel.
Will die ihr jetzt noch mehr Murmeln vor die Füße werfen? Das wäre ja ziemlich albern. Doch bevor Frau Schick etwas sagen kann, hat sich Bettina wieder in den Sitz gezwängt und hält ihr die Kugel vor die Nase. »Die habe ich heute Morgen vor meiner Tür gefunden. Lapislazuli, der Stein der Wahrheit und der Intuition.«
Hildegard schnaubt vernehmlich.
Ernst-Theodor hebt den Zeigefinger. »Schon bei den Ägyptern eine der beliebtesten Grabbeigaben.«
Bettina beachtet ihn nicht, sondern plappert aufgeregt weiter: »Dazu die goldene Ziselierung, eine wundervolle Arbeit. Ich war sicher, dass Sie ihn mir hingelegt haben.«
»Ich?« Frau Schick schüttelt energisch den Kopf. »Wie kommen Sie denn darauf?«
»Wegen des Bibelspruchs.«
»Also bitte!« Sie und heilige Sprüche! Sie hat Schopenhauer und die Schemutat, das reicht. Da braucht sie nicht mit der Bibel hausieren zu gehen.
»›Der Mund, so da lüget, tötet die Seele‹«, liest Bettina von der Kugel ab.
»Wer sagt denn das?«, wundert sich Frau Schick.
»König Salomo!«, ruft von hinten ein begeisterter Ernst-Theodor. »Buch der Weisheiten, ein höchst philosophisches Kapitel der Heiligen Schrift und …«
»Halt dich da raus«, tadelt Hildegard. »Mit so einem Hokuspokus wie Heilsteinen haben wir nichts zu tun. Heilsteine, also bitte! Das ist doch heidnischer Mummenschanz.«
»In der Offenbarung sind die zwölf Tore des himmlischen Jerusalem mit Halbedelsteinen geschmückt. Eine hochinteressante Symbolik in der Tradition der Antike. Schon Aristoteles hat darüber geschrieben und Hildegard von Bingen …«, setzt Ernst-Theodor zu einem Vortrag an.
»Willst du mich auf die Palme bringen? Nun hör endlich auf!«, unterbricht ihn seine Hildegard.
Alles geklärt, freut sich derweil Frau Schick! Der Stein kann und muss doch von Thekla stammen. Mit Lügen und deren Folgen kannte die sich schließlich aus. Stein der Wahrheit , pah! Aber der Spruch ist nicht ohne, den muss sie sich merken. Nelly muss ihn für sie in der Bibel finden. Später. Erst mal ist Bettina dran. »Eine alte Frau wie mich so anführen zu wollen!«, schimpft Frau Schick in deren Richtung. »Jetzt sagen Sie endlich die ganze Wahrheit und nichts als die Wahrheit über Ihre Knickersammlung, so wahr Ihnen Gott helfe!« Schade, dass Herberger gerade nicht mit der Bibel zur Hand ist, sonst würde sie Bettina richtig schwören lassen. »Also: Wann haben Sie und Thekla diesen Spuk ausgeheckt? Na los, ich bin Ihnen auch gar nicht mehr böse deswegen.«
»Thekla? Ich kenne keine Thekla.« Bettinas Schultern sinken herab. »Frau Schick, es tut mir leid. Wirklich. Man hat mich getäuscht. Ich soll Ihnen gar nicht helfen. Ganz im Gegenteil. Das ist mir jetzt klar.«
Frau Schick steht völlig im Dunkeln. Sie merkt nur, dass sie und Bettina von völlig verschiedenen Dingen sprechen.
»Wenn ich dazu etwas sagen dürfte«, meldet sich von der Rückbank zaghaft die stille Martha. Viel weiter kommt sie nicht. Der Bus nimmt eine Anhöhe
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