Frau Schick räumt auf
und eine scharfe Kurve, die Bettina auf Hildegards Schoß schleudert. Hildegard quiekt. Die Räder knirschen auf Schotter, gelber Sand staubt auf, der Bus holpert steil bergan und schwankt bedrohlich nah an einer steilen Abbruchkante entlang. Nelly schnellt im Sitz hoch, stöhnt und beginnt laut keuchend zu würgen.
Frau Schick klammert sich an einen Haltegriff in der Rücklehne des Vordersitzes. »Tun Sie was!«, herrscht sie Bettina an. »Bei so einem Gewackel muss ihr ja todschlecht sein.«
Bettina schlüpft zu Nelly und wedelt ihr rasch frische Luft zu.
Auch Paolo nähert sich und hält Nelly eine Wasserflasche entgegen. »Señora, Sie haben es gleich geschafft. Frische Luft wirkt Wunder.« Er macht dem Fahrer ein Zeichen.
Augenblicke später hält der Bus mit einem ächzenden Geräusch, und die Türen öffnen sich mit einem hydraulischen Seufzen, noch bevor er ganz zum Stehen gekommen ist. Bergwind strömt herein. Der Busfahrer greift nach einer Dose Raumspray und einem Putzlappen und will sich schon auf den Weg in den Fond machen.
» No, nicht nötig«, hält Paolo ihn zurück und zerrt gemeinsam mit Bettina die geschwächte Nelly den Gang und dann die Stufen herab.
» Respire« , befiehlt Paolo. » Respire hondo!«
»Tief einatmen!«, übersetzt Bettina, ohne zu wissen, dass sie das tut, aber was Nelly jetzt braucht, ist auch ohne Spanischkenntnisse klar.
»Kommen Sie, wir gehen ein Stück«, sagt Bettina. »Ihr Kreislauf muss in Schwung kommen.«
23.
»Ich werde mich beim Reiseveranstalter beschweren«, schimpft Hildegard, die hinter Frau Schick aus dem Bus klettert. »Auf diese Art und Weise kommen wir ja nie in acht Tagen bis Santiago. Und das bei dem Preis!«
Frau Schick dreht sich zu ihr um. »Was wollen Sie denn? Hauptsache, wir wandern.«
»Auf dem Puerto de perdón war nur ein kurzer Fotostopp eingeplant. Wir müssen heute immerhin noch bis Estella. Und den Abstecher auf den Camino von Aragón will ich in keinem Fall verpassen, nur weil eine Schnapsdrossel und Verrückte an Bord sind.«
Camino von Aragón? Wo zum Kuckuck liegt denn der jetzt wieder? Langsam reichen Frau Schick die geografischen Verwirrspiele. »Sind wir denn noch immer nicht auf dem richtigen Jakobsweg?«, fragt sie verärgert.
»Doch, doch, wir sind hier überall auf dem richtigen Weg. Es gibt eben mehrere Varianten. Meine Frau meint mit dem Abstecher Eunate, das liegt am aragonesischen Weg, der ein wenig weiter südlich auf den navarrischen zuläuft, um sich auf der Brücke von Puenta la Reina mit diesem zu vereinen«, erklärt Ernst-Theodor bereitwillig.
»Und wann kommt diese verdammte Brücke?«, fragt Frau Schick. »Und warum fahren wir nicht einfach hin?«
»Bis Puenta la Reina sind es noch etwa zehn Kilometer. Der Abstecher nach Eunate ist ein Höhepunkt der Reise. Es handelt sich um eine beeindruckende romanische Kirche.«
Die von Ernst-Theodor so begeistert angekündigten Geheimnisse interessieren Frau Schick nicht im Geringsten, das höchst akute ungelöste Rätsel um Bettina, Thekla und den Lapislazuli ist weit spannender. »Abmarsch!«, übernimmt sie darum kurzerhand die Führung und bewältigt die vorausliegende Steigung innerhalb einer Viertelstunde.
Das ist sicher meine persönliche Bestzeit, lobt sie sich selbst und schaut sich auf dem Passplateau suchend nach Bettina um. Ha, da ist sie ja und guckt entrückt in den Horizont. Jetzt aber!
Nelly hat Halt an einer der eisernen Wallfahrerfiguren gefunden, die mit ebenso eisernen Eselsilhouetten im Schlepptau die stark umwehte Passhöhe schmücken. Erschöpft wagt sie einen Blick in Richtung Abgrund. Zu Fuß wäre sie hier zwar bedeutend langsamer, dafür aber sicherlich mit heilem Magen hochgekommen. Paolo streicht ihr kurz über den Rücken und eilt dem Rest der Gruppe entgegen.
Die Busreisenden mischen sich unter die echten Fußpilger, die hier Rast machen, um die krautig bewachsene Anhöhe und die umliegenden Hügelwellen zu erkunden oder einen letzten Blick auf Pamplona zu werfen. In den fernen Pyrenäen scheint Regen niederzugehen, doch ringsum herrscht eitel Sonnenschein.
Frau Schick findet sich ein wenig abseits mit Bettina zusammen und redet heftig auf sie ein. Der Wind zerfetzt, was sie zu sagen hat, und weht einzelne Worte in Nellys Richtung. Nelly linst kurz hinüber. Sieht aus, als hätten die beiden einen heftigen Streit.
Was vorhin im Bus vorgegangen ist, hat Nelly nicht groß mitbekommen, nur dass es um grüne und blaue Steine ging.
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