Frauen, die Geschichte machten
Autorin |224| begehrt, musste aber den Argwohn gegen sie in einer Arbeiterpartei wie der SPD zusätzlich wecken.
In diese große Partei nämlich zog es Rosa, denn auch für ihre polnischen Genossen sah sie nur im Bündnis mit der mächtigen
deutschen Schwester eine Chance zum Durchbruch. Beliebt machte sie das bei den Polen auch nicht gerade, obschon viele einsahen,
dass ein solches Zusammengehen angesichts der finsteren Despotie im zaristischen Polen ohne Alternative war. Wie aber sollte
eine polnische Jüdin trotz aller akademischen Weihen Aufnahme im deutschen Kaiserreich finden und wie in der SPD? Die Ochsentour
zum Erwerb der deutschen Staatsbürgerschaft hätte viel zu lange gedauert. Die Schwierigkeiten fingen ja schon bei den Geburtsurkunden
an, die in Deutschland verlangt wurden, die aber in Polen unbekannt waren; man kannte dort nur Taufbestätigungen, die zudem
nur in den Kirchenbüchern eingetragen waren. Eine ältere deutsche Freundin in der Schweiz wusste Rat: Sie schlug eine Ehe
mit ihrem jüngsten Sohn Gustav Lübeck, einem preußischen Hilfsarbeiter, vor. Der Bräutigam wurde nicht lange gefragt, er unterwarf
sich dem mütterlichen Diktat und verhalf so der umtriebigen Sozialistin Rosa Lübeck im April 1898 zu einem deutschen Pass.
Ein Risiko bestand für ihn dabei weder, was den Familienunterhalt anging, noch hinsichtlich der »ehelichen Pflichten«. Rosa
war schon lange in festen Händen. Bereits im ersten Zürcher Jahr hatte sie den aus Wilna stammenden, wohlhabenden, nur gut
drei Jahre älteren Leo Jogiches kennen und lieben gelernt.
Mit ihm studierte sie, ihn bezog sie in ihre Aktivitäten für die Sozialisten in Polen mit ein, bei ihm wohnte sie auch nach
der Eheschließung. Die beiden gaben ein seltsames Paar ab: Von Rosas recht herber Weiblichkeit war schon die Rede. Leo hingegen,
ein Mann mit Schnauzer, buschigen Augenbrauen und dunkellockigem Haar, hatte etwas Düster-Verführerisches. Die Briefe, die
ihn nach der ersten Trennung, als Rosa nach Berlin gegangen war, in der Schweiz erreichten, zeigen eine völlig ungewohnte
Seite der energischen Frau.
Darin wird sie nicht müde, ihre Liebe zu beteuern, schilt ihn, dass er zu wenig Persönliches von sich preisgebe, entwirft
fast bürgerliche Zukunftsmodelle des »legalen« Zusammenlebens, Briefschlüsse mit der Formel »die liebende Gattin Rosa« sind
nicht selten. Ja, Rosa wünscht sich sogar ein Kind von Leo. Für einen inzwischen zum Berufsrevolutionär gereiften Mann eine
unmögliche Zumutung. Und doch änderte seine Abweisung nichts an Rosas Innigkeit dem Mann gegenüber, der sie mit einem Lob
mehr erfreuen konnte, als alle rednerischen Erfolge auf Parteitagen es vermochten: »Kein anderes Paar auf der Welt hat solche
Voraussetzungen, um glücklich zu sein, wie wir.«
Schließlich scheiterte die Beziehung 1906 dann doch. Zu sicher war sich Leo wohl der Liebe seiner im herkömmlichen Sinn so
wenig attraktiven Partnerin |225| gewesen. Dass sie ihm einen Seitensprung nicht würde verzeihen können, damit hatte er nicht gerechnet. Doch gerade eine Frau,
die sich ihrer weiblichen Reize so wenig sicher war wie Rosa, musste von solcher Untreue tief verletzt sein. Ein solches Verhältnis
wie zu Leo konnte sie später trotz zweier längerer Beziehungen zu keinem ihrer Freunde mehr aufbauen. Vielleicht wollte sie
das auch nie, und vielleicht spielte das schon bei ihrer Unversöhnlichkeit Leo gegenüber eine Rolle. Mit den Aufenthalten
im ungeliebten Berlin nämlich hatte eine Phase in ihrem Leben begonnen, in der für romantische Gefühle immer weniger Platz
war.
Am 16. Mai 1898 war Rosa Luxemburg in der Reichshauptstadt eingetroffen und umgehend der SPD beigetreten. Schon im Monat darauf
stand sie im Dauereinsatz für die Partei, die ihre Herkunft nutzte und sie nach Oberschlesien schickte. Bezirke im deutsch-polnischen
Grenzgebiet wählten die fesselnde Rednerin fortan zur Delegierten auf den alljährlichen Parteitagen der SPD, wo sie von vielen
allerdings mit gemischten Gefühlen begrüßt wurde. Meist trat sie als Anwältin für die drei Millionen in Deutschland lebenden
und arbeitenden Polen auf, was bei der durchaus national gesonnenen Mehrheit auch in der SPD auf wenig Beifall stieß.
Außerdem war niemand, nicht August Bebel und auch nicht der Parteitheoretiker Karl Kautsky, Ehemann von Rosas engster Berliner
Freundin Luise, vor Attacken sicher. Dem äußersten linken
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