Frauen, die Geschichte machten
nicht mitmachen wollten, wurden zum Austritt gedrängt. Als Emmeline Pankhurst im Oktober 1912 forderte, den Kampf nicht
länger nur gegen die Liberale Partei, sondern auch gegen deren Koalitionspartner, darunter die Labour Party, zu führen, war
der Bruch in der eigenen Familie da. Ihre Tochter Sylvia (geboren 1882), eingeschworene Sozialistin, gründete einen eigenen
Frauenverband, »Women’s Dreadnought«.
Im April 1913 musste Emmeline Pankhurst wieder ins Holloway-Gefängnis, diesmal mit einer Strafe von drei Jahren. Und wieder
machte sie die Haftanstalt zum »Schlachtfeld«, wie sie in ihren Memoiren sagt: Hungerstreik, Durststreik, Schlafstreik – binnen
kurzem hatte die 55-Jährige ihre Gesundheit ruiniert. Man entließ sie, um sie bald darauf nach dem Katz-und-Maus-Verfahren
erneut in Haft zu nehmen. Das wiederholte sich noch mehrmals, bis die Behörden aufgaben.
Inzwischen war der Erste Weltkrieg ausgebrochen. Seit den ersten Tagen im August 1914 gingen die Uhren in Europa anders. Wie
so vieles andere schob der Krieg auch das Thema »Frauenwahlrecht« in den Hintergrund. Die Frauen strömten in die Hilfsdienste,
arbeiteten als Erntehelferinnen, Krankenschwestern oder ersetzten Straßenbahnschaffner, Lastwagenfahrer, Ladenbesitzer, die
als Soldaten eingezogen waren. Die WSPU vollzog eine Kehrtwendung hin zum Patriotismus. Sie unterstützte die Regierung, Emmeline
Pankhurst persönlich wetterte gegen Drückeberger und Kriegsdienstverweigerer. Ihre Memoiren enden im Jahr 1915. Für die weitere,
recht sonderbare Entwicklung der streitbaren Frau fehlen vergleichbare Zeugnisse. 1917 gründete sie mit ihrer Tochter Christabel
die Frauenpartei (»Women’s Party«), deren Programm sowohl feministische als auch gewerkschaftsfeindliche und sogar rassistische
Aspekte enthielt (Behörden sollten von »feindlichem Blut« gereinigt werden). Nur die sozialistische Frauenorganisation ihrer
zweiten Tochter Sylvia kämpfte tapfer weiter gegen den »kapitalistischen Krieg«. Als Sylvia |220| dann auch noch ein uneheliches Kind bekam, riss der Kontakt zwischen Tochter und Mutter gänzlich ab.
Nach Kriegsende 1918 ging Emmeline Pankhurst für mehrere Jahre nach Amerika und arbeitete in einer Kampagne des Nationalen
Rates zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten. 1925 versuchte sie sich als Inhaberin eines Teeladens im Badeort Juan-les-Pins
an der französischen Riviera. Zum Befremden ihrer einstigen Anhängerinnen trat sie der Konservativen Partei bei und ließ sich
als Kandidatin aufstellen. Körperlich aber war sie bereits zu schwach, um noch in den Wahlkampf zu ziehen. Am 14. Juni 1928
starb sie 70-jährig in London.
Und das Frauenwahlrecht? Die Sowjetunion führte es 1917 ein, das Deutsche Reich 1918, die Vereinigten Staaten 1920. Auch Großbritannien
ließ sich 1918 herab, Frauen den Urnengang zu gestatten. Aber es ging nicht ab, ohne dass die Regierenden ihren alten Gegnerinnen
noch ein paar Steine in den Weg legten: Nicht alle Frauen sollten wählen dürfen, sondern nur solche, die über 30 Jahre alt
waren, sich hatten registrieren lassen bzw. deren Männer registriert waren. Das allgemeine Frauenwahlrecht wurde in England
erst 1928 Gesetz, im Todesjahr Emmeline Pankhursts.
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Rosa Luxemburg
Die Freiheit des anders Denkenden
|222| Eine Frau, die sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts als Polin und Jüdin in einer deutschen Partei zu behaupten hatte, die als
Frau zudem in eine Männerdomäne – die Politik – eindrang, war unweigerlich eine Außenseiterin. Es war ja nicht so, dass die
Sozialdemokratie über dem Zeitgeist gestanden hätte. Die Genossen waren Frauen und Fremden gegenüber sicher aufgeschlossener
als die Honoratiorenparteien, gern gesehen wurden solche »Exoten« aber auch bei den Roten nicht. Schon gar nicht, wenn sie
so selbstbewusst und damit so »unweiblich« auftraten wie das »Fräulein« Luxemburg. Rosa war zwar als verheiratete Frau nach
Deutschland gekommen, doch dass die Eheschließung nur aus diesem Grund, also zum Schein stattgefunden hatte, war ein offenes
Geheimnis, auf das ihre Gegner mit Vorliebe anspielten. Feinde hatte sie viele.
Die kleine, etwas untersetzt wirkende Frau litt außerdem an einem Gehfehler. Eine im Kindesalter erworbene Hüftfehlstellung
hatte sich nicht korrigieren lassen. Ihr leichter Silberblick wurde von ihren Gegnern häufig als »tückisch« interpretiert.
Eine Schönheit war sie
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