Frauen, die Geschichte machten
Flügel der Partei zugehörend, machte Rosa kein Hehl aus ihrer Abneigung
allem Reformismus und allen Kompromissbestrebungen gegenüber. Als Kautsky 1901 einmal einen Beitrag Rosas für sein Blatt »Die
Neue Zeit« kritisierte, entzog ihm die Autorin sogleich das Recht der Veröffentlichung. Und sie kommentierte bissig die wahren
Vorbehalte, von Kautsky ironisch in der dritten Person als »der Freund«, von sich als »Mitarbeiter« sprechend:
»Der Freund ließ sich aber ganz vom Redacteur der Neuen Zeit beherrschen, und dieser will seit dem Parteitag überhaupt nur
Eins: er will seine Ruhe haben, er will zeigen, dass die Neue Zeit nach den erhaltenen Prügeln artig geworden ist und Maul
hält. Und deshalb mag auch ein gutes Recht des Mitarbeiters der Neuen Zeit auf Wahrung seiner wichtigsten Interessen, sein
Recht auf die Verteidigung gegen öffentliche Verleumdungen geopfert werden,… damit nur in allen Wipfeln Ruh‘ herrscht. So
liegt die Sache, mein Freund! Und nun mit herzlichem Gruß Ihre Rosa.«
Nein, Florett war nicht ihre Sache, und Feingefühl auch nicht immer. So erlaubte sie sich mit Bebel einen Scherz, der bei
einem weniger souveränen Mann durchaus zum Bruch hätte führen können: Beim Lübecker Parteitag 1901 steckte sie dem SPD-Chef
im Hotel einen Zettel in die Schuhe: »Aujust, ick liebe Dir.« Albern und übermütig, gewiss, aber auch ein wenig plump von
der jungen Frau Doktor, den biederen 60-jährigen Drechslermeister auf solche |226| Weise aufzuziehen. Ein anderer hätte ihr das als unverzeihlichen Dünkel ausgelegt. Bebel aber stand über solchen Empfindlichkeiten
und förderte sie als junges Talent.
Den sozialdemokratischen Ritterschlag erhielt Rosa jedoch vom Gegner: Im Januar 1904 wurde sie wegen Majestätsbeleidigung
zu drei Monaten Gefängnis verurteilt, die sie in Zwickau absaß. Sie hatte dem Kaiser, der ohnedies gern mit den Sozis »aufgeräumt«
hätte, Ahnungslosigkeit bescheinigt, als der Monarch von der »gesicherten Existenz der deutschen Arbeiter« gesprochen hatte.
Nach Absitzen der Haft sah sie sich nun deutlich ernster genommen und stürzte sich sogleich ins nächste Abenteuer: die Revolution
von 1905 gegen das zaristische Unterdrückungssystem in ihrer polnischen Heimat und in Russland selbst.
Die Revolutionäre erzielten manchen Teilerfolg, Grundlegendes aber änderte sich noch nicht, vor allem nicht am brutalen Polizeiregime.
Rosa erfuhr das am eigenen Leibe, nachdem sie am 4. März 1906 verhaftet worden war. Bis August wurde sie in diversen, oft
unerträglich überfüllten und verdreckten polnischen Gefängnissen festgehalten und musste sogar mit der Hinrichtung rechnen.
Ja, einmal schien diese unmittelbar bevorzustehen. Man hatte Rosa Luxemburg bereits die Augen verbunden. Doch dann nahm man
ihr die Binde wieder ab. Irrtum oder Sadismus? Rosa wusste es nicht und berichtete später: »Ich schämte mich, weil ich fühlte,
dass ich erbleichte.« Auf Intervention der SPD und nach Zahlung einer namhaften Summe kam sie schließlich frei und nahm Kontakt
zu russischen Genossen auf, darunter auch Lenin.
Sie war einigen schon seit 1896 auf den internationalen Sozialistenkongressen in London, Paris und Amsterdam begegnet und
analysierte mit ihnen nun das Scheitern der Revolution. Wie sie bereits in der 1904 herausgebrachten Schrift »Organisationsfragen
der russischen Sozialdemokratie« ausgeführt hatte, kam sie allerdings zu anderen Ergebnissen als Lenin, der ihr dennoch die
Vertretung der russischen Sache 1907 in Stuttgart beim ersten internationalen Sozialistenkongress auf deutschem Boden übertrug.
In der Erinnerung sagte er 1924 von seiner Genossin: »Ein Adler kann wohl manchmal auch tiefer hinabsteigen als das Huhn,
aber nie kann ein Huhn in solche Höhen steigen wie ein Adler. Rosa Luxemburg irrte … Aber trotz allem war und bleibt sie ein
Adler.«
Das hieß nicht, dass sich die kämpferische Frau ganz den großen Visionen widmete und die tägliche politische Arbeit gescheut
hätte. Im Gegenteil: Zwar stand sie der 1906 erfolgten Gründung der Parteischule der SPD zunächst skeptisch gegenüber, doch
erkannte sie schon bald die Chance, die in dem Projekt der Heranbildung von gut geschulten Kadern steckte. Seit Oktober 1907
wurde sie zur weitaus wichtigsten Dozentin der Schule, die mit ihrer Berufung und der Zulassung auch von Frauen zu den Kursen
emanzipatorische Zeichen setzte. Rosas Programm galt
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