Frauen, die Geschichte machten
Kaisertum der rechtgläubigen Völker zu gründen, mit Konstantinopel als Hauptstadt und einem russischen Herrscher darin. Wer
das sein sollte, wusste sie auch schon: Ihr Enkel, der bei seiner Taufe den Namen Konstantin erhalten hatte. Nun wurde aus
jenem orthodoxen Kaisertum nichts, aber ihren Heeren gelangen in den beiden Türkenkriegen 1768 bis 1774 und 1787 bis 1791
doch bedeutende Siege; sogar zur See war die kaiserliche Macht erfolgreich: Mit Hilfe englischer Seeoffiziere vernichtete
die aus der Ostsee ins Mittelmeer verlegte russische Flotte die türkische Armada bei der Insel Chios und bei Tschesme (Juni
1770). In den Friedensschlüssen von Kutschuk Kainardschi (1774) und Jassy (1792) gewann Russland Zugang zum Schwarzen Meer,
die Türkei |171| verzichtete auf die Krim und auf »Neurussland«-Noworossija, das Gebiet zwischen südlichem Bug und Dnjepr, das Katharina ihrem
ehemaligen Günstling Fürst Potjomkin übergab. Dieser versuchte eiligst, blühende Landschaften aus den rückständigen Gebieten
zu machen. Er gründete Dörfer und Städte wie Sewastopol und Jekaterinoslaw und baute eine Flotte auf dem Schwarzen Meer. Er
rief griechische, deutsche und armenische Siedler ins Land, ließ Weingärten anlegen und kümmerte sich um den Obstbau, die
Seidenraupenzucht und die Salzgewinnung. Vieles aber blieb Stückwerk, sprichwörtlich wurden die »Potemkinschen Dörfer«, die
er für eine Besichtigungsfahrt der Zarin 1787 am Ufer des Dnjepr errichtete: Vom Schiff aus sah Katharina prächtige Hausfassaden,
doch dabei handelte es sich um Attrappen, dahinter stand nichts oder nur ärmliche Hütten, und die fröhlichen, gut gekleideten
Menschen, die ihr zuwinkten, waren jeden Tag dieselben, sie wurden bei Nacht in die nächste »Stadt« gekarrt, um dort ihr Theater
abermals aufzuführen. Potjomkin war sicherlich keiner, der in die eigene Tasche wirtschaftete, sondern ein glänzender Organisator
und Feldherr. Aber aus dem Nichts eine blühende Kolonie zu stampfen, das ging denn doch über seine Möglichkeiten.
Die größten außenpolitischen Erfolge erzielte Katharina im Westen. Geschickt nutzte sie die Schwäche und Zerrissenheit des
polnischen Staates: Dessen Adel hinderte den König an einer vernünftigen Regierung, schwächte sich selbst durch heftige Parteikämpfe
und unterdrückte obendrein Bauern und Bürger. Dazu kamen religiöse Spannungen. Andersgläubige hatten es schwer in Polen, die
katholische Mehrheit verfolgte sowohl Protestanten als auch Orthodoxe. Katharina schaffte es, ihren ehemaligen Geliebten Stanislaus
Poniatowski zum König wählen zu lassen, der programmgemäß den Orthodoxen Glaubensfreiheit gewährte. Als die polnischen Adligen
dagegen ein Verteidigungsbündnis zur Aufrechterhaltung der alten Zustände schlossen, hatte Katharina einen Grund zum Eingreifen,
nämlich den Schutz ihrer orthodoxen »Glaubensbrüder« in Polen. Russische Truppen marschierten ein, und bald ging es gar nicht
mehr um religiöse Fragen, sondern um handfesten Gebietserwerb. Preußen und Österreich hatte Katharina auf ihrer Seite, gemeinsam
schritten die Großmächte zur ersten Teilung Polens (1772). Das Zarenreich erhielt dabei die weißrussischen Gebiete von Witebsk
und Mogilew. Zwanzig Jahre später bot sich erneut eine Chance, weitere Gebiete Polens zu gewinnen: Eine Gruppe von polnischen
Adligen, die durch revolutionäre Umtriebe – die Französische Revolution war inzwischen ausgebrochen und strahlte auch bis
nach Warschau – verunsichert wurde, rief russischen Beistand an. Wieder marschierten Truppen der Zarin ein und besetzten im
Zuge der zweiten Teilung Polens (1793) weitere weißrussische Gebiete und die westliche Ukraine. Das Schicksal Polens wurde
1795 nach dem gescheiterten Aufstand des Thaddäus Kosciusko gegen preußische und russische Besatzer besiegelt. Das Königreich
Polen verschwand von |172| der Landkarte, Russland reichte nun bis an den Njemen und den westlichen Bug. Katharina hatte ihrem Land mehr Gebiete zugeführt
als irgendeiner ihrer Vorgänger seit Iwan dem Schrecklichen. Die
Rus
des Mittelalters, das Reich des legendären Staatsgründers Rjurik, auf den sich Russlands Herrscher stets bezogen, schien wiederhergestellt.
Neben dem imperialen Ausgreifen lag Katharina die kulturelle Öffnung ihres Landes nach Westen am Herzen. Wie Peter der Große
holte auch sie ausländische Künstler und Handwerker ins Land und vergab lukrative
Weitere Kostenlose Bücher