Frauen, die Geschichte machten
Aufträge. Als junge Frau hatte sie, um der
Öde ihrer Ehe zu entfliehen, die Werke französischer Philosophen und Staatsrechtler aufmerksam gelesen und Korrespondenz mit
den Geistesgrößen ihrer Zeit aufgenommen. D’Alembert, Diderot, Voltaire gehörten zu den Briefpartnern auch der späteren Zarin.
Französisch wurde die Sprache des Hofes und der vornehmen Gesellschaft bis ins 19. Jahrhundert. In den Salons der Hauptstadt
pflegte man den Austausch über gelehrte und künstlerische Angelegenheiten, über Geistesfreiheit und Menschenrechte. Katharina
gründete eine Universität in Moskau und zahlreiche neue Schulen im Land. Der lebhafte Verkehr, den sie persönlich mit dem
Ausland unterhielt, hatte auch eine politische Notwendigkeit. Im Alleingang machte sie Stimmung für ihre politischen Projekte
und versuchte, Europas Meinungsführer auf ihre Seite zu ziehen. Das funktionierte tatsächlich, die Intellektuellen Europas
begeisterten sich für die gelehrte und zugleich attraktive Frau, bald wurde sie als »Semiramis des Nordens« apostrophiert.
Fest überzeugt von den Idealen der Aufklärung wollte Katharina sie auch auf die gesellschaftlichen Verhältnisse in ihrem Reich
anwenden. Inspiriert von Montesquieus »Geist der Gesetze« (und zum Teil auch wörtlich daraus abgeschrieben) präsentiert sich
der Entwurf zu einer »Instruktion«, den die Zarin 1767 verfasste. Es entstand eine Art »Enzyklopädie für den russischen Hausgebrauch«,
der in 653 Paragraphen das Land und seine Regierungsform, Justizwesen, Wirtschaft, Sozialstruktur der Bevölkerung und Ähnliches
behandelte. Berater, denen sie das Werk zeigte, warnten vor allem vor den Partien, die eine generelle Milderung der Leibeigenschaft
erkennen ließen: »Das sind Grundsätze, die geeignet sind, Mauern einzureißen.« Katharina war sich der Hindernisse bewusst,
die einer einheitlichen Verwaltung und Gesetzgebung in ihrem Reich im Wege standen. An Voltaire schrieb sie aus Kasan an der
Wolga: »Stellen Sie sich vor, dass Sie Europa und Asien dienen müssen. Welch ein Unterschied in Klima, Menschen, Gewohnheiten,
vor allem in den Begriffen. In dieser Stadt gibt es zwanzig Völker, die sich in keinem Stück gleichen, und trotzdem muss man
ihnen einen Rock nähen, der allen gleich gut sitzt. Es ist leicht, allgemeine Regeln zu finden, aber die Details?«
Katharina legte die Instruktion einer Kommission aus Repräsentanten des Adels vor. Freimütig berichtet sie in ihren Memoiren:
»Bei jedem Paragraphen |173| gab es Meinungsverschiedenheiten. Ich gestattete ihnen zu streichen, so viel sie wollten.« Und die Herren strichen, bis alles,
was irgendwie als Angriff auf die Rechte des Adels angesehen werden konnte, aus dem Entwurf verschwunden war. Die Nachgiebigkeit
der Zarin hatte eine schlichte Ursache. Sie brauchte den Adel. So fest saß sie nicht im Sattel, dass sie ohne ihn oder gar
gegen ihn hätte regieren können. Nach wie vor galt sie als Produkt eines Putsches adliger Offiziere, ihre Macht als geliehen,
der Makel, ohne rechte Legitimation die Zarenkrone zu tragen, haftete ihr allezeit an. Ihren Versuchen, ein Gegengewicht zum
Adel in Gestalt einer neuen Klasse, dem Bürgertum, zu schaffen, war vorerst kein großer Erfolg beschieden. So blieb es denn
auch bei der Leibeigenschaft der Bauern. An dem traurigen Erbe früherer Jahrhunderte wurde nicht gerüttelt, im Gegenteil,
in Katharinas Regierungszeit verschärfte man noch die Bestimmungen, die den Bauern an der Scholle festhielten und ihn rechtlos
machten.
Eine deutliche Belehrung darüber, was die Zarin ihrem Volk schuldig geblieben war, bildete die
Pugatschowtschina
, der Aufstand des Kosaken Pugatschow, der im Herbst 1773 während des ersten türkischen Krieges losbrach und sich, da das
russische Militär anderweitig gebunden war, rasch ausbreiten konnte. Die Wut der Bauern auf ihre Gutsherren war der Auslöser,
dazu kamen die Beschwerden anderer Bevölkerungsgruppen, Fremdstämmige, Kosaken, Altgläubige, die mit der Staatskirche in Konflikt
lagen, muslimische Asiaten, die sich gegen russische Landnahme wehrten. Der Anführer, Jemeljan Pugatschow, gab sich für Peter
III., den rechtmäßigen Herrscher auf dem Zarenthron, aus. Er versprach allen alles, den Bauern Freiheit und Land, den Soldaten
reiche Löhnung und Gelegenheit zum Aufstieg, und jedermann Steuernachlässe. Erst, als nach dem Friedensschluss mit der Türkei
im Juli 1774
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