Frauen, die Geschichte machten
ausreichend Truppen bereit standen, wurde die russische Führung mit dem Aufstand fertig. Pugatschow endete auf
dem Schafott. Mit den liberalen Bestrebungen Katharinas war es danach aber auch vorbei. Dem Drangsal, das die Bauern nun erst
recht erleiden mussten, hatte sie nichts mehr entgegenzusetzen. Sie verlor im Laufe der Zeit auch ganz die Verbindung zu ihren
bäuerlichen Untertanen, ließ es zu, dass die Grundherren eine Art von ständischer Selbstverwaltung und Eigengerichtsbarkeit
etablierten, die ihnen ermöglichten, die Bauern zu prügeln oder Hunger leiden zu lassen, sie nach Sibirien oder ins Heer zu
stecken, ganz wie es ihnen beliebte. In wenigen Fällen schritt sie ein, wie in dem der Gräfin Saltykow, einer Gutsbesitzerin,
die mehr als fünfzig ihrer Leibeigenen zu Tode gefoltert hatte: Katharina veranlasste, dass sie den Rest ihrer Tage in sibirischer
Verbannung zubringen musste.
Die Angst der Herrschenden, Katharina nicht ausgenommen, vor den Eruptionen, die aus der Mitte des Volkes ausbrechen konnten,
die Angst, die Pugatschows Aufstand geweckt hatte, hatte in der Französischen Revolution ein |174| neues Schreckensbild gefunden. Nach dem Sturm auf die Bastille 1789 und der darauf folgenden republikanischen Herrschaft war
es mit Katharinas Begeisterung für die Aufklärung vorbei. Fortan war es ihr Bestreben, ähnliches Aufbegehren in ihrem Lande
zu unterdrücken. Altersstarrsinn verdunkelte die Politik ihrer letzten Jahre, Katharina betätigte sich als Zensor, sie verbot
Bücher und schickte kritische Geister in die Verbannung.
Am 6. November 1796 starb Katharina nach einem Schlaganfall im Alter von 68 Jahren. Nach ihrem Willen sollte ihr Enkel Alexander
die Thronfolge übernehmen. Ihren Sohn Paul empfand sie als Gegner, und er war es wohl auch. Der vermeintliche Sohn Peters
III. hätte schon längst Zar sein sollen, doch Katharina hatte ihn nicht gelassen. Nun war er schon 42 Jahre alt. Das erste,
was er nach der Thronbesteigung tat, an der ihn niemand hindern konnte, war die Überführung der Überreste seines Vaters in
den Winterpalast in St. Petersburg zu befehlen. Dort wurde auch der Sarg seiner Mutter aufgestellt, aber nur Peters Sarg erhielt
die Krone des Reiches. Später wurden Katharina und ihr Mann in der Kathedrale Peter und Paul in St. Petersburg beigesetzt,
wo auch die meisten russischen Kaiser seit Peter dem Großen ruhen.
Kurz vor ihrem Tod hatte Katharina eine Grabschrift für sich verfasst. Sie gibt Auskunft über ihre guten Absichten, die Misserfolge
verschweigt sie: »Auf den russischen Thron gelangt, strebte sie nach dem Guten und suchte ihren Untertanen Glück, Freiheit
und Eigentum zu verschaffen. Sie vergab leicht und hasste Niemanden. Sie war nachsichtig, leichtlebig, heiteren Temperaments,
hatte eine republikanische Seele und ein gutes Herz. Sie hatte Freunde. Die Arbeit fiel ihr leicht, Geselligkeit und die Künste
erfreuten sie.«
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|175|
Marie Antoinette
Königin auf dem Schafott
|176| Nach 15 Jahren Ehe hat die Königin ihrem Mann einen zweiten Sohn geboren. Ein Fest für das Königtum, Söhne kann eine Dynastie
nie genug haben. Zur Feier des Ereignisses hält die glückliche Mutter im Mai 1785, vier Jahre vor Ausbruch der Revolution,
Einzug in die Hauptstadt. Aber dort rührt sich keine Hand zum Beifall, es regnet keine Blumen, nirgendwo werden Tücher geschwenkt.
Das Publikum bleibt stumm und feindselig. Zurückgekehrt in ihr Schloss vor den Toren der Stadt wirft sich die Frau dem König
weinend in die Arme. »Was habe ich ihnen denn getan?« schluchzt sie.
Que leur ai-je fait?
Diese verzweifelte Frage kann als charakteristisch für das Leben der Marie Antoinette, Königin von Frankreich, gelten. Es
demonstriert eindringlich die Kluft, die zwischen ihr und dem Volk bestand. Marie Antoinette wusste wenig von ihren Untertanen,
und das sollte sich auch ihr Leben lang nicht ändern. Zwar hatte es vor ihr schon viele Fürstinnen gegeben, die wenig Bezug
zu ihrem Volk hatten, doch spielte es in deren Zeit keine große Rolle. Marie Antoinettes Königtum aber fiel in eine andere
Zeit, nämlich in die des Niedergangs der französischen Monarchie. Das Ancien Régime hatte sich überlebt und wurde schließlich
durch die Revolution weggefegt. Volkstümlichkeit war keine ihrer Tugenden.
»Was habe ich ihnen denn getan?« Genau genommen nichts, jedenfalls nichts, was sie mit Absicht getan hätte. Ihr
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