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Frauen, die Geschichte machten

Titel: Frauen, die Geschichte machten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reinhard Barth
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Beitrag zur
     Weltgeschichte besteht auch kaum in Taten, allein ihre Existenz war es, was die Leute reizte. Das unzufriedene Volk brauchte
     eine Zielscheibe für seine Ressentiments, eine Person aus Fleisch und Blut, in der sich die Übel der Zeit verkörpern sollten,
     und Marie Antoinette bot sie ihnen.
    Am 2. November 1755 kam sie in Wien als 15. Kind der Kaiserin Maria Theresia zur Welt. Eigentlich hieß sie Maria Antonia,
     Marie Antoinette wurde sie erst genannt, als sie die Frau des französischen Thronfolgers wurde. Die Ehe wurde eingefädelt,
     um ein Bündnis zwischen Österreich und Frankreich zu sichern. Es war das Übliche. Politische Allianzen galten als besonders
     sicher, wenn Mitglieder der regierenden Häuser miteinander die Ehe eingingen. Der französische König Ludwig XV. entschied
     sich für seinen Enkel Ludwig XVI., sein Gegenüber Maria Theresia wählte aus ihrer Kinderschar die Erzherzogin von Österreich,
     so ihr Titel, Maria Antonia aus. Es bedurfte mehrere Jahre der Verhandlungen, bis alle Einzelheiten des Ehevertrages geklärt
     waren. Am 6. Mai |177| 1770 wurde die Braut dann an der französischen Grenze übergeben, in einer Prozedur, die an Umständlichkeit nicht zu überbieten
     war. Auf einer Sandbank im Grenzfluss Rhein errichtete man ein Haus mit einer »österreichischen« und einer »französischen«
     Hälfte. Beim Eintreten in das Gebäude befand sich die Erzherzogin noch auf heimatlichem Boden. Nachdem sie es durchquert hatte,
     stand sie in Frankreich.
    Die Braut war zu dieser Zeit noch nicht einmal 15 Jahre alt, ein hübsches, zu Späßen und Streichen aufgelegtes Mädchen, das
     seinen Erziehern auf der Nase herumtanzte und wenig auf die mütterlichen Ratschläge bezüglich der Bücher, die sie lesen sollte,
     Acht gab. Sie las nicht, schrieb nur, wenn sie unbedingt musste, und tat sich schwer mit Fremdsprachen. Der einzige Unterricht,
     der bei ihr wirklich Früchte trug, war der Ballettunterricht. Die junge Erzherzogin verstand es, sich auf graziöseste Art
     zu bewegen. Der Bräutigam dagegen, der Dauphin (so der Titel des Thronfolgers in Frankreich) Ludwig XVI., nur eineinviertel
     Jahre älter als sie, schwerfällig, linkisch, unsicher, wusste kaum etwas damit anzufangen.
    Die Ehe, die den beiden Kindern aus Gründen der Staatsräson aufgenötigt worden war, stand unter einem schlechten Stern. Beim
     Abschluss der Hochzeitsfeierlichkeiten am 30. Mai 1770 sollte in der Hauptstadt ein gewaltiges Feuerwerk abgebrannt werden.
     Halb Paris war auf den Beinen, um sich das anzusehen. Doch schon die ersten Raketen gingen in die falsche Richtung, sie trafen
     das Depot mit den Feuerwerkskörpern, das daraufhin explodierte. Panik brach aus, Menschen trampelten einander tot, fielen
     in schlecht gesicherte Baugruben, Pferde gingen durch und rissen ihre Kutschen mitsamt den Insassen in die Seine. Es gab über
     hundert Todesopfer. Und schon waren die ersten Gerüchte in Umlauf: Die Österreicherin bringt uns Unglück.
    Auch die Ehe schien nicht glücklich zu sein.
Non consumatum
, nicht vollzogen, lautete jahrelang das Verdikt in der Sprache der Hofjuristen. Die Zeugung von Nachkommen, das, wozu die
     jungen Leute nach herrschender Meinung auf der Welt waren, fand nicht statt. Erst sieben Jahre später sollte ein Kind geboren
     werden. Offensichtlich litt der König an einer Vorhautverengung, doch bei Hofe fand sich keiner, der das Paar hätte aufklären
     können. Dafür kursierten umso mehr boshafte Verse über den Dauphin, der seine Frau nicht zu befriedigen wisse. Bälle, Feste,
     Ausflüge, Konzerte, Theater, die junge Frau suchte überall Zerstreuung. Immer war sie strahlender Mittelpunkt; das Rokoko,
     die Welt der graziösen Singspiele, der Schäferpoesie, der Reifröcke und Chinoiserien, eigentlich schon zum Sterben verurteilt,
     fand noch einmal eine Repräsentantin. Ihr Mann hielt nicht mit dabei, das war nichts für ihn, lieber ging er auf die Jagd
     oder betätigte sich handwerklich in der Schlosserwerkstatt, die er in Versailles eingerichtet hatte. Der Hofstaat lebte außerhalb
     in einem riesigen Schloss, das der Sonnenkönig Ludwig XIV. mitten ins platte Land hatte |178| bauen lassen, in einer Welt für sich. Sicherlich hätte es Marie Antoinette aufgrund der Abgeschiedenheit schwer gehabt, Einblick
     in das Leben ihrer Untertanen zu bekommen. Ihr Aktionsradius blieb auf ein paar Adelssitze in der Nähe der Hauptstadt beschränkt:
     Versailles, St. Cloud,

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