Frauen sind auch nur Männer (German Edition)
dich entlausen/und verlierst die Koffer auch noch leider dabei./So fährt man heut von Groß-Berlin nach Kötzschenbroda/Und dann und wann kommt man auch wirklich dort an./Nun stehn wir da, der schöne Traum vom Reisen ist jetzt aus./Glück auf nach Kötzschenbroda – aber ich bleib zu Haus.«
Kötzschenbroda ist eine Kleinstadt in der Nähe von Dresden, also eine Art sächsisches »Hinterposemuckel«, das schon Fontane und Tucholsky als Name eines tiefsten Provinznestes reizte. Hinzu kommt, dass es in sächsischer Aussprache »Götschenprodö«, also mit weichem k und hartem b, gesprochen wird und da doch sehr possierlich klingt. Kötzschenbroda lag in der Ostzone. In Kötzschenbroda hat Karl May gelebt, die Stadt wurde mit Radebeul vereint, und in Radebeul ist das Karl-May-Museum. Gut möglich, dass Udo Lindenberg »Honi« wegen dieses Karl-May-Bezugs in seinem Pankow-Lied als »Oberindianer« bezeichnet hat.
Mich frappiert aber mehr, dass das Lied heutige Bahnverhältnisse geradezu perfekt widerspiegelt. Es erinnert mich an heute, besonders was die S-Bahn-Strecke in Berlin anlangt, für die Bully Buhlan (damals der deutsche Sinatra meiner Kindheit) einen Tag gebraucht hat. Damals waren die Feinde des Bahnverkehrs die Kriegsverwüstungen, die Zerstörungen und Demontage der Gleise, der kaputte Maschinenpark und die Besatzungszeit, Strommangel und Energieausfall. Die Leute hingen sich an Züge, um zum Ährenstoppeln oder Kohlenklauen das Nötigste zu besorgen.
Heute sind die Volksfeinde, die von der Deutschen Bahn benannt werden, vier, nämlich: Frühling, Sommer, Herbst und Winter. Der innere Feind sitzt im Management und in der Politik und hat wegen des Börsengangs die Bahn so gut wie kaputt gespart. Bessere Argumente für eine Kapitalismus-Kritik können auch der Vorsitzenden der Linkspartei Gesine Lötzsch nicht einfallen. Statt Planwirtschaft Fahrplanwirtschaft.
Heute ist ganz Berlin Kötzschenbroda, jedenfalls ebenso abenteuerlich zu erreichen. Wer es sich leisten kann, singt: Glück auf nach Kötzschenbroda, ich bleib lieber zu Haus.
22 . Januar 2011
Das Raubtier in mir
Jetzt stehen wir Fleischfresser wieder am Pranger, seit man Dioxin in Hühnereiern, Putenschnitzeln und Schweinefüßen aufgespürt hat
Jetzt sitzen wir wieder auf der Anklage-, um nicht zu sagen Schlachtbank, weil wir Raubtiere mit Messer und Gabel sind, die die Profitgier der Massentierhaltung und der Futtermittel-Mafia in Schwung halten.
Bald werden wir gejagt werden wie aufgescheuchte freilaufende Hühner. Nach den Rauchern geht es uns an den Kragen. Die Vegetarier aller Länder vereinen sich gegen uns, manchmal geraten wir sogar ins Pfeil-und-Bogen-Visier der Veganer, die Erdbeeren nur essen, wenn sie ihnen überreif von den Bäumen ins Maul fallen. Bloß nicht schütteln oder dran rühren!
Ich muss ein Geständnis aus der guten alten Zeit ablegen. Vor Jahrzehnten war ich in der Vorosterzeit in Zürich im Italienerviertel und aß in einem kleinen italienischen Lokal frisches Pyrenäen-Zickleinfleisch. Goldgelb gebraten von einer Wirtin, die eine richtige italienische Mama war. Die armen unschuldigen Tiere mundeten mir vorzüglich. Außen kross und innen zart schmeckten sie nach Stall, das talgige Fett klebte sich wohlig an Gaumen und Lippen. Zurückgereist nach Hamburg, hatte ich nur eine Sehnsucht: Zicklein, ohne Rücksicht darauf, dass die zarten Tiere schon in Grimms Märchen (»Der Wolf und die sieben Geißlein«) sozusagen den Zusammenhang tierischer Unschuld und wölfischer Raubgier darstellten.
Ich ging also in meine Fleischerei oder Schlachterei (in Österreich auch martialisch »Fleischhauerei«), in das vorösterliche Gedränge der Kunden, die schlimmstenfalls Lamm bestellten, und fragte laut: »Haben Sie Zicklein?«
In dem Moment hätte man in dem Laden eine Stecknadel fallen hören können. Alle starrten mich an, als wäre ich der gesuchte Täter aus dem vortäglichen »Aktenzeichen XY … ungelöst«. Ich besorgte mir das Zicklein vom Münchner Viktualienmarkt und flog es heimlich in den Norden, nach Hamburg. Im Jahr darauf war ich gewitzter. Ich ging in die Fleischerei wie ein heimlicher Drogendealer und fragte hinter vorgehaltener Hand: »Können Sie mir diesmal Zicklein bestellen?« Das Wort »Zicklein« sprach ich so leise wie andere das Wort »Pornoheft« im Zeitungsladen.
Was soll ich sagen: Meiner Familie schmeckte das »pappige Fett« (Zitat meiner Frau) überhaupt nicht, und ich blieb auf meinem
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