Frauen und Bücher: Eine Leidenschaft mit Folgen (German Edition)
sprachlichen Stils. Großer Beliebtheit erfreuten sich auch literarische Travestien: Die Salongäste schlüpften in die Rolle eines Romanhelden, etwa aus Honoré d’Urfés berühmtem Roman Die Schäferin Astrea, und erzählten dessen »Erlebnisse« nach.
Konversationsthema Nummer eins der Zusammenkünfte aber war die Liebe. Man führte Debatten über Fragen wie »Ist Schönheit zur Entstehung von Liebe notwendig?«, »Lässt sich die Ehe mit der Liebe vereinbaren?« oder auch »Welche Auswirkung hat das Fehlen von Liebe?«. In Tränen ausgebrochen aber wäre seinerzeit keiner der Anwesenden – so wenig, wie man sich zu einer Dichterlesung im Freien versammelt hätte. Dafür sorgten schon gesellschaftliche Konventionen, die bei aller Freizügigkeit im Einzelnen den Ausdruck persönlicher Gefühle unterbanden, das Bedürfnis danach gar nicht erst aufkommen ließen. Die literarischen Werke, die zur Sprache kamen, nahm man wohl ernst, aber es war der Ernst eines Gesellschaftsspiels, in dem der Einzelne eine bestimmte Rolle innehatte, und nicht der Ernst einer Literatur, die das Leben durchdringen und verändern sollte.
Gleichwohl verbindet die Szene im Magdeburger Garten mit jenen, die sich ein Jahrhundert zuvor in Paris zugetragen haben, dass Literatur als eine Form von Geselligkeit betrachtet wird. Es geht um eine Gemeinschaftserfahrung, in der Frauen nicht wie bei anderen gesellschaftlichen Anlässen eine untergeordnete, vielmehr eine geradezu exponierte Stellung besitzen. Im Paris des 17. Jahrhunderts versammelte sich die Gesellschaft nicht nur in den Räumlichkeiten einer Frau, die mit frischen Blumen und duftenden Kerzen dekoriert waren; im Zentrum der Aufmerksamkeit standen des Öfteren auch die literarischen Werke von Frauen, etwa die Schlüsselromane Madeleine de Scudérys, die subtile Porträts der Anwesenden in literarischer Verkleidung enthielten. Einem ihrer Werke hatte sie die in Frankreich bis heute sprichwörtliche Carte de Tendre, die Karte der zarten Liebe, beigegeben, die Sexualität und Liebe aus weiblicher Sicht neu zu definieren versuchte.
Dagegen scheint die Dichterlesung auf der Elbinsel fast ein Rückschritt in Sachen Frauenbeteiligung zu sein; nur zu deutlich steht hier ein Mann mit seinem Werk im Mittelpunkt. Wir dürfen jedoch nicht unterschätzen, wie wichtig das weibliche Publikum für die Durchsetzung eines Dichters wie Klopstock war. Die Zeitgenossen haben dies sehr genau registriert. Der Publizist und Satiriker Gottlieb Wilhelm Rabener, der auch der deutsche Swift genannt wurde, urteilte schon 1749: »Herrn Klopstocks Messias ist unter uns getreten, und wir kennen ihn nicht.« Die »Pharisäer, Schriftgelehrten und Obersten des Volkes«, so Rabener weiter, würden nicht an ihn glauben. Mit den »Pharisäern« waren die Theologen, mit den »Schriftgelehrten« die damaligen Wissenschaftler und Gelehrten, mit den »Obersten des Volkes« der Adel und die Höfe gemeint. Klopstock bekam Ignoranz und Ablehnung dieser drei sozialen Gruppen zu spüren, aus denen sich seinerzeit die gute Gesellschaft der Belesenen und Gebildeten in Deutschland zusammensetzte. Der verkannte Dichter wurde, so Rabener, nur von einer Gruppe wirklich und unvoreingenommen erkannt und verstanden: den Frauen. Im Ton der Zeit heißt das: »Unser Frauenzimmer rächet den Verfasser an der pedantischen Gleichgültigkeit unsrer gründlichgelehrten Männer, und den abgeschmackten Vorurteilen unsrer Kunstrichter von Profession.« Klopstock dichtete auf eine neue Weise, und er wandte sich an ein neues Publikum: die Unbelesenen, die Frauen und die jungen Leute sowie insbesondere an eine Schnittmenge aus den Genannten: die ungebildete und noch unverheiratete junge Frau.
Nur einige Tage nach seiner Rückkunft aus Magdeburg bricht Klopstock zu einer längeren Reise in die Schweiz auf. Die Einladung dazu stammt von Bodmer und ist schon im Vorjahr erfolgt. Der ständig in Geldverlegenheiten steckende Klopstock hat sie gerne angenommen, sich von Bodmer aber ein Darlehen über 300 Reichstaler erbeten, unter anderem um die Reisekosten zu bestreiten. Die Zurückzahlung eines großen Teils dieser Summe sei ihm schon bald möglich, er erwarte Honorare aus der Drucklegung des Messias . Als Klopstock das verspricht, sind ihm diese Einnahmen jedoch keineswegs sicher. Das mag die Unterwürfigkeit erklären, mit der er gegenüber seinem zukünftigen Gastgeber auftritt: »Meine körperliche Gegenwart muss in Ihrem Hause beinahe unmerklich
Weitere Kostenlose Bücher