Frauen und Bücher: Eine Leidenschaft mit Folgen (German Edition)
eigentlich die zärtlichste Liebe« im Auge gehabt zu haben. Diese schätze er »ungleich höher« als die platonische Freundschaft. In seinem Messias liebe der Mann das Mädchen »ganz und gar«. Dr. Hirzel berichtet diese Szene in einem Brief, in dem er den Ausflug Revue passieren lässt und die Reaktion der Anwesenden auf Klopstocks erotische Weltsicht festhält: »Wir stimmten ihm aus vollem Herzen bei, und Platon war nicht unser Mann. Die süßesten Gefühle waren in uns rege und beseelten die Unterhaltung.«
Auch Klopstock hat in einem Brief an seinen Vetter, den Bruder der angehimmelten Cousine, ein Resümee des Ausflugs gezogen. Es ist so schlicht wie aufschlussreich: »Ich kann Ihnen sagen, ich habe mich lange nicht so ununterbrochen, so wild und so lange auf Einmal, als diesen schönen Tag gefreut.« Diese unbändige, über den Augenblick hinaus anhaltende Lebensfreude ist dann auch das eigentliche Thema von Klopstocks berühmter Ode »Der Zürchersee«, die unmittelbar nach dem Ausflug entsteht. »Da, da kamest du, Freude! Volles Maßes auf uns herab«, heißt es in dem Gedicht. Das Pfingstwunder, das Klopstock hier feiert – wir würden es heute etwas nüchterner eine Dichterlesung oder, noch nüchterner, eine Autorenlesung nennen. Denn genau das ist es, was Klopstock in den Magdeburger und Züricher Tagen des Sommers 1750 kreiert hat. Von diesen unbeschwerten Anfängen fällt bis heute einiger frivoler Glanz auf unsere Literaturhäuser: Dichterkult, zu Scherzen Anlass gebende Geselligkeit und intimes Verstehen mischen sich in dieser Veranstaltungsform auf ununterscheidbare Weise. Deren Mittelpunkt ist nach wie vor, dass der Autor oder die Autorin dem Werk die eigene Stimme leiht. Das ist keineswegs nur eitle Selbstdarstellung oder gar Prostitution aufseiten der Verfasser und Verehrung oder Voyeurismus aufseiten der Zuhörer. Wer einen Autor persönlich erlebt hat und danach seine Texte liest, weiß, bis zu welchem Maße der Rhythmus und Duktus seines Sprechens, kurz seine unverwechselbare Stimme, sich in dem von ihm Geschriebenen wiederfinden. Im guten Fall, wenn der Autor vorzutragen versteht, ist er der beste, der authentischste Vorleser seiner Texte, und für den Zuhörer wird danach bei der eigenen stummen Lektüre die Stimme des Autors stets mitklingen. Wie wir den Schilderungen Klopstocks und seiner Zeitgenossen entnehmen können, ist für eine Dichterlesung darüber hinaus charakteristisch, dass Frauen in beträchtlicher Zahl im Publikum vertreten sind, wenn nicht sogar den Löwenanteil ausmachen. Daran ändert sich auch nichts, wenn der Autor eine Frau ist – im Gegenteil.
Allerdings ist der Kontakt zwischen Autor und Lesern inzwischen nicht mehr ganz so auf Intimität gestimmt wie noch vor gut zweihundertfünfzig Jahren. Zwar werden die Augen der Zuhörer auch heute zuweilen noch feucht – Küsse mit dem Autor beziehungsweise der Autorin hingegen werden zumindest während der Veranstaltung selten getauscht. An deren Stelle ist die Widmung getreten, die sich die Zuhörerschaft nach der Lesung, geduldig wartend und einzeln vortretend, abholt, nachdem das Buch zuvor erworben wurde.
Dem Trend zur Professionalisierung der Dichterlesung hat Klopstock bereits selbst Vorschub geleistet. Vom Erfolg seiner sommerlichen Auftritte motiviert, institutionalisierte er später in Hamburg solche Lesungen und gründete eine Lesegesellschaft. Per Satzung war verfügt, dass die Frauen den Männern hinsichtlich Anzahl und Entscheidungsbefugnis überlegen waren. Einmal wöchentlich fand ein Leseabend statt; die Damen wählten reihum den Text aus, der dann von einem Schauspieler, manchmal auch nur von Klopstock darin geübten Gymnasiasten zum Vortrag gebracht wurde. Und der Dichter nahm mittlerweile nicht nur Tränen und Küsse, sondern auch Eintrittsgeld entgegen. Er habe jemanden gesprochen, der dabei gewesen sei, schreibt Georg Christoph Lichtenberg an Johann Andreas Schernhagen: »Es soll ganz überaus ätherisch da zugehen bis auf das Geld, das Seine Exzellenz K. dafür zieht.« Klopstock schrieb zwar keine einzige seiner Dichtungen für den Broterwerb, dennoch gelang es ihm durch diese und andere Maßnahmen, etwa Subskriptions-Projekte, an die 10000 Reichstaler zu erwirtschaften, immerhin ein Fünftel seines Einkommens zu Lebzeiten.
Klopstocks sich herumsprechender Erfolg mit Lesungen brachte auch andere auf ertragreiche Geschäftsideen: So begann der Organist und Publizist Christian Friedrich Daniel
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